Das Foto zeigt eine Leberwurst auf einem Teller

Wie eine Weinprobe – nur mit Leberwurst

Die hat aber eine rauchige Note … Sahnig, doch scharf im Abgang … Erst süß, aber dann – bähm – knallt die Leber rein, der Lebergeschmack ist extrem … Sehr süß am Anfang, doch dann kommt nicht viel nach und bitter im Abgang ist sie … Die Farbe ist gut, aber mich stören die Löcher … Das heißt Hohlstellen. Ich muss schon sehr bitten. Sollen wir einen Punkt abziehen? Nein! Sie schmeckt gut. Das ist eben Handarbeit … Ah, die ist aber viel zu krisselig ….

So, oder so ähnlich, hören sich die Gespräche an, die die 60 Juroren im Gewölbekeller des Aachener Ratskellers führen. Es geht um die Wurst. Tatsächlich, nicht nur sprichwörtlich. Der Gewölbegang ist belebt. An den Tischen wird rege diskutiert. 13 Aachener Innungsbetriebe der Aachener Aixtra-Fleischer haben ihre hauseigene Weihnachtsleberwust eingereicht. Am Vortag wurde deren Qualität schon im Labor untersucht. Jetzt erfolgt der Geschmackstest der Juroren. Seit nun 51 Jahren findet diese „Verkostung und Qualitätsprüfung“ statt. Es geht um Gold-, Silber- und Bronzeplaketten. Aber eigentlich noch um viel mehr: Der handwerkliche Fleiß und die Treue gegenüber dem traditionellen, regionalen Erzeugnis wird durch ein Ritual gewürdigt und für die Kunden sichtbar gemacht.

Wie bei einer Wein- oder Whiskeyprobe streichen wir uns kleine Leberwurstklekse auf den Teller. Fünf Varianten von fünf verschiedenen Fleischern soll unser Tisch bewerten. Wir wissen selbstverständlich nicht, wer die Wurst hergestellt hat. Die Erste esse ich noch mit Brot. Danach koste ich nur noch ohne Beilage. „Es ist besser, die Wurst roh zu probieren. Das Salz im Brot verfälscht den Geschmack“, gibt Metzgermeister Karl Zeiss in die Runde. Er und Maurice de Boer, Chef des Ratskellers und zugleich Hausherr der Verkostung, bewerten die Leberwürste federführend an unserem Tisch. Karl Zeiss schneidet an. Bevor wir kosten dürfen, wird zunächst die Optik bewertet, dann die Streichfähigkeit und letztlich die Konsistenz und der Geschmack. Maurice de Boer weist uns später, als die Bewertungsbögen längst abgegeben sind, augenzwinkernd darauf hin, dass wir nun doch mal die Streichwürste gegeneinander testen sollten. Das war vorher nicht erlaubt. Es ist verblüffend, welches Urteil wir jetzt am Tisch treffen. Wurst Nummer Zwei ist auf einmal gar nicht mehr so intensiv, wie wir sie vorhin empfunden haben. Da hat die Nummer Fünf wohl unsere Geschmacksnerven neu justiert.

Interessant ist, wie der Profi das mühelos während des Verkostens wahrgenommen hat. Als könne er ein Abbild des Geschmacks speichern. Wohingegen meine Geschmacksknospen von den vielfältigen Leberwurstgeschmackswelten überrascht wurden. Wann isst man schon mal mehrere, verschiedene Leberwürste nacheinander weg? Wann kann man direkt vergleichen? Natürlich gibt es Unterschiede, aber so himmelweite? Und das, obwohl die Zutaten nahezu gleich sind. „Sahne, Honig und ein höherer Fleischanteil. Das macht die klassische Variante der Aachener Weihnachtsleberwurst aus“, erläutert Wolfgang Flachs, Vorsitzender der Aachener Aixtra-Fleischer, das Rezept. Sie wird nachweislich schon seit dem 19. Jahrhundert so zur Weihnachtszeit erzeugt. Am Ende der Blindverkostung im Ratskeller wird bekanntgegeben, dass in diesem Jahr neun Fleischereifachbetriebe mit Gold, zwei mit Silber und einer mit Bronze ausgezeichnet werden.

Derzeit befindet sich die regionale Delikatesse auf dem Weg, einen europaweiten Gebietsschutz zu erhalten. Ähnlich wie beim Champagner wird so sichergestellt, dass sich nur Aachener Weihnachtsleberwurst nennen darf, was aus Aachener Fleischereien stammt und allen Vorgaben entspricht. „Wenn bis zum Vortag des Heiligen Abends kein Einspruch aus der EU erfolgt, erhält die Wurst im Frühjahr das Siegel“, sagt Patentanwalt Dr. Volker Schoene.

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