Arbeitsjournal: 30. September

Am Wochenende habe ich einen Artikel gelesen, in dem der Autor den Streit um die Neuansiedlung von Wölfen in Deutschland als einen Kulturkampf zwischen Stadt- und Landbevölkerung beschreibt. Der Wolf ist deswegen ein Streitthema, weil hierbei der Wirtschaftsraum Land auf den Vorstellungsraum Wildnis trifft. Auf der einen Seite stehe die Landbevölkerung, die Feld und Flur traditionell als ihren Raum zum Leben beanspruche. Auf der anderen Seite eine moderne Zivilgesellschaft, die nicht wolle, dass der Mensch sich seine Natur für die eigenen Vorteile forme. Letztlich gehe es den Schäfern und Landwirten nicht so sehr um den Wolf, sondern darum, wer am Ende für die Kosten aufkommt, die der wilde Wolf verursacht. Die Angst davor, dass der Wirtschaftsraum Land um einen weiteren Kostenfaktor erschwert werden könnte, trifft auf die romantische Vorstellung, dass der Wolf wieder die Wälder besiedelt und damit die Wildnis wieder intakt ist.

Da bei stadt.land.text die Besonderheiten von Stadt und Land auch eine große Rolle spielen, ist mir dieser Artikel seitdem im Kopf geblieben. Vielleicht lassen sich noch andere Beispiele finden für die Missverständnisse, die durch das Zuschreiben von Vorstellungen und Funktionen an einen Lebensraum entstehen. Vielleicht bleibt es aber auch nur bei dieser Notiz. Mal sehen.

Heute Abend geht es mit Feridun Zaimoglu, Judith Kuckart und Vea Kaiser auf eine Busfahrt. „Titel on Tour“ heißt die mobile Lesereihe, die Schriftsteller zum Vorlesen in öffentlichen Verkehrsmitteln einlädt. Ich bin gespannt auf die Tour. Los geht es am Bushof.

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