Das Foto zeigt eine schwarzweiß Zeichnung eines winkenden Mädchens

Wenn es Zeit wird

Folge 6: Abschied nehmen

Das Foto zeigt eine schwarzweiß Zeichnung eines winkenden MädchensStellen Sie sich vor: Sie haben ein Kind. Doch ihr Kind ist schwerkrank. So krank, dass es nie alleine Fahrradfahren können wird. Nie alleine in den Urlaub fahren wird. Ihr Kind wird auch keinen Abschluss machen. Und: Sie werden ihr Kind überleben.

Immer wieder erleben Familien dieses Schicksal. Bekommen die Diagnose, dass das eigene Kind frühzeitig sterben wird. Doch was passiert nach der Diagnose? In der Region sind diese Familien nicht auf sich allein gestellt: für sie ist der ambulante Kinderhospizdienst da. Vor 26 Jahren haben sich sieben Gründungseltern mit schwerkranken Kindern in Aachen zusammengefunden. Inzwischen leitet Kirsten Jetzkus den Dienst.

„Ein Kinderhospiz ist mit einem ‚normalen‘ Hospiz nicht vergleichbar“, sagt Jetzkus. Denn Kinder, die eine unheilbare Krankheit haben, seien nicht dauerhaft im Hospiz. Sie können einmal im Jahr für ein paar Wochen dort einziehen. „Die Zeit ist für die meisten Familien wie eine Kur“, sagt Jetzkus. Die gelernte Krankenschwester und Sozialarbeiterin weiß, dass es dort nicht nur Programm für die Kinder, sondern auch für die Eltern gibt. „Viele Eltern haben im Alltag kaum Zeit mehr für sich.“ Damit sich das ändert, haben die sieben Gründungseltern beschlossen, einen Dienst einzurichten, der Familien das ganze Jahr zur Seite steht. „Jeder Familie hat ihren eigenen Unterstützer“, sagt Jetzkus. Insgesamt 30 ehrenamtliche Helfer hat sie an ihrer Seite. Mal greifen die Ehrenamtlichen bei alltäglichen Dingen unter die Arme, mal unternehmen sie aber auch einfach etwas mit dem gesunden Geschwisterkind.

„Nachfragen, was gebraucht wird: darum geht es“, erklärt Jetzkus. Dabei müsse man auch lernen sich selbst zurückzunehmen, „und nicht einfach nach dem Staubwedel greifen.“ Damit die Ehrenamtlichen diese Fähigkeit beherrschen, durchlaufen sie vorab eine kleine Ausbildung. Richtig professionell zu sein, sei aber gar nicht der Anspruch: „Wir sind kein Pflegepersonal und kommen auch nicht jeden Tag.“
Das Foto zeigt eine Frau die auf einer Couch sitzt
Kirsten Jetzkus sitzt auf dem roten Sofa in der Koordinationsstelle in Eilendorf. Heute ist es passiert. Es kommt nicht oft vor. Doch heute schon. Ein Kind ist gestorben. In den letzten zehn Jahren waren es elf. Jetzkus hat alles für die Beerdigung geplant. Auf dem Sofatisch steht ein kleines Blumengesteck. Die Heliumflasche für Luftballons ist aufgefüllt. Auch mit dem Pfarrer ist alles besprochen. Jetzkus ist handlungsfähig; auch im Angesicht dieser Schicksale.

Dabei wird über das Thema ‚Tod‘ in Deutschland selten und ungern gesprochen. Ein Gespräch über das Sterben des eigenen Kindes scheint da nahezu unmöglich. Oder? „Man sollte wissen, was auf einen zukommt“, sagt Jetzkus. Die Eltern müssten darauf vorbereitet sein. Vor allem auf das Danach. Denn viele Eltern geben für ihre erkrankten Kinder Berufsleben und soziale Kontakte komplett auf. Um nicht in ein Loch zu fallen, sei es wichtig, eben diese Dinge zu planen. Derzeit begleitet der Kinderhospizdienst 15 Familien in der Region.

„Die Kinder sind meist nicht tot krank, sie sterben auch nicht – sie haben lediglich eine Erkrankung, die das Leben verkürzt“, erklärt Jetzkus. Inzwischen sind einige Kinder schon über 18 Jahre alt geworden. „Das ist doch ein Erfolg“, findet sie. Sich das immer wieder bewusst zu machen, sei so wichtig. Auch im Privaten fährt sie die gleiche Linie: verabschiedet sich immer bewusst von ihren Mitmenschen; geht nie im Streit auseinander. „Ich würde auch nie an der eigenen Haustüre klingeln“, erzählt Jetzkus. Nur ein einziges Mal habe sie das gemacht. „Mein Mann stand kreidebleich an der Treppe und dachte, es wäre etwas passiert“, fährt sie fort. Was Jetzkus schildert, ist keine Erzählung voller Überfürsorge ihres Mannes. Nein, denn Jetzkus ist nach der Arbeit als Notfallseelsorgerin unterwegs. Sie ist es, die Polizeibeamte zu den Hausbesuchen begleitet und nach der Todesüberbringung für die Angehörigen da ist.

Kirsten Jetzkus sitzt auf dem roten Sofa, nippt an einem Getränk und spricht so offen über das Thema Tod, dass einem nicht nur die Tränen über’s Gesicht kullern, weil die Geschichten so bewegend sind. Vielmehr weint man auch mit ein bisschen mit Bewunderung über die Art, wie sie mit dem Tod umgeht. Warum sie sich das Thema zur Lebensaufgabe gemacht hat, ist eigentlich offensichtlich. Jetzkus legt den Kopf schief und lächelt: „Weil ich es kann!“

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