Betriebsbeginn

Erster Text, erste Bahn. Wie alles beginnt um 4.14 h:

Ich stolpere aus dem Haus, ein Taxi wirft seinen Motor an. Die Häuser dunkel, ich zähle ein beleuchtetes Fenster. Wer weckt die Stadt?

In einer Eckkneipe Kellner, sie gehören zum Vortag. Die Bahn fährt ein, ich renne. Unter den Ersten sein, die befördert werden. Zu Beginn sind wir zu dritt im Abteil. Eine Weile lang Stille über blau-gelbem Plastik. Am Knotenpunkt dann werden wir mehr.

Eine Frau stürmt nach hinten, graue Jeans mit regelmäßigen Einschnitten, lässt sich auf den Sitz fallen. In der Spiegelung der Scheibe sehe ich, wie sie ihren Kopf nach hinten klappen lässt, bis die Lehne ihn abfängt. Dann ein Schrei, halb Seufzen, halb Gähnen, der erste Satz an diesem Morgen: Scheiße man, was soll ich machen? Jetzt sind´s sechs Millionen! Während ich noch überlege, sechs Millionen wovon? schlägt sie mit der flachen Hand gegen die gelben Haltestangen. Etwas muss raus. Ein Fahrgast guckt besorgt herüber, sagt aber nichts. Plötzlich fällt es mir ein: Sie weckt die Stadt! Ich stelle mir vor, wie sie von Haus zu Haus rennt, an jeder Wohnungstür klingelt. Menschen schüttelt, aus Federn zerrt, in fremden Küchen Kaffee kocht. Bis sie endlich bereit ist, ihre Stadt.

Später, es ist mittlerweile hell, lese ich nach, suche die Einwohnerzahl. Es kann nicht sein. Die Anzahl müsste sich über Nacht verfünffacht haben. Vielleicht nächstes Jahr?

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