Linksrum ist gutrum – sauerländer Linkskurventheorie
5. Juli 2017
Als Motorradfahrer kommt man wegen der Kurven. Bei der Tour durchs Sauerland wegen Saisonstart-Achtsamkeit und nasser Straßen noch jede Kurve genau registrierend, meinten wir irgendwann, dass hier sehr viele Orte und Örtchen hinter einer Linkskurve liegen und eben nicht hinter einer Rechtskurve. Wir bemühten uns über mehrere hundert Kilometer Strecke, die Linkskurven-These zu bestätigen oder falsifizieren. Wir kategorisierten die Zusammenhänge von Kurvenverlauf und örtlichen Begebenheiten jeden Abend genauer und immer unüberschaubarer.
Zunächst dachten wir, dass die ortseinführende Linkskurve bei Ansiedlungen unterhalb eines Berges besonders häufig vorkommt – eine Spezifizierung, die wir bald fallen ließen, weil so ziemlich jeder Ort im Sauerland unterhalb irgendeiner Erhöhung liegt. Es ist wohl auch so, dass die in den Ort führende Linkskurve abhängig davon häufiger vorkommt, ob die Hauptstraße des Orts, an der im Sauerland immer noch die Kirche, aber immer seltener auch der Metzger, der Bäcker oder eine Buchhandlung liegen, parallel oder quer zum Tal verläuft.
Kulturpessimistisch mussten wir irgendwann feststellen, dass zudem die ortseinführenden Linkskurven wegen der Umgehungsstraßen für den durch Berg und Tal donnernden Güterverkehr offenbar aus der Mode kommen. Die Linkskurve im Wandel der Zeit.
Irgendwann meinte mein ach-so-rationaler Mitfahrer, die „Sauerländer Linkskurvenorte“ würden uns nur deshalb auffallen, weil Linkskurven für Motorradfahrer „natürlicher“ zu fahren sind – was angeblich mit dem Gasgriff rechts zu tun hat oder damit, dass sollte man aus der Kurve getragen werden, man bei einer Linkskurve nicht in den Gegenverkehr gerät. Wir würden linksrum, zumal bei der Einfahrt in eine Stadt, eher das Gefühl von „sicherer Hafen“ entwickeln. Er referierte weiter, die rechte Hirnhälfte (die über Kreuz mit der linken Körperseite verbunden ist) gebe die Richtung vor, die sprachbegabtere linke Hälfte dagegen übernähme es, unser Tun in Worte zu fassen.
Das erklärte mit einem Schlag sowohl das Linkskurven-Fahrgefühl wie unsere wahnwitzigen Erklärungsversuche. Trotzdem: Die Sauerlandlinkskurve nur Illusion oder ein Wahrnehmungsfehler?
Als hinter einer extremen Haarnadelinkskurve meine Sauerlandschreiber-Wohnung in Schmallenberg – Bödefeld auftauchte – musste ich lächeln. Ein Hafen. Ganz einfach. Wobei gleich wieder die rechte Hirnhälfte ansprang, denn die eigentliche Dorfeinfahrt ist eine rechts-links Kombination und die Wohnung liegt am Ende der Linksurve in einer Sackgasse (Hafen!). Ob es mir in den kommenden Wochen gelingen wird, die besondere Sackgassensituation in die zerfasernden Kategorien und Unterkategorien der Linkskurventhese einzufügen oder ob die These selbst zur Sackgasse geworden ist: Die Forschungsreise – inspirierende Wahrnehmungsstörung inklusive – geht weiter.