MOMUMENT Teil V

FÜNF
Als erstes hörte ich die Vögel. Eine Amsel ganz in der Nähe. Ein Kuckuck. Die anderen Vogelstimmen erkannte ich nicht. Dann spürte ich leichten Wind. Die Gerüche kamen alle auf einen Schlag – Holz, Gras, Dung, Schnecke, wie nach einem leichten Regen, schwerer urinartiger Blütenduft und noch etwas anderes, das ich nicht zuordnen konnte. Leichter Schwindel überkam mich. Noch sah ich nur verschwommene Umrisse und Farben. Ich blinzelte ein paar Mal und versuchte mich hinzuhocken, um Halt zu finden, aber der Boden unter mir hatte sich noch nicht fertig entwickelt und mein Körper fand keine feste Position im Raum. „Bitte bleiben Sie ganz ruhig“, sagte die Stimme in meinem Kopf. Es fühlte sich an, als würde ich im Wasser treiben. Mir wurde schlecht von der überwältigenden Vielfalt vertrauter Eindrücke.
Nach ungefähr dreißig Sekunden hatte sich das Bild vollständig aufgebaut und ich hockte vor dem geöffneten Tor zum Park.  Rechts von mir neben dem Weg stand ein Baumstumpf. Der Baum musste erst kürzlich gefällt worden sein. Das Holz war hell und feucht und duftete, ich setze mich zitternd auf dem Stumpf und weinte.

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