Traum von einem leeren Objekt
28. März 2022
Mitten in der Stadt, die seit Jahren schrumpft, steht ein Center. Zwischen leergeräumten Kneipen und geschlossen Geschäften. Das Center steht einfach dort und verwaist. Es ist massiv und trägt den Namen Stapel-Center. Ich denke: „Wir sind doch nicht in LA.“
Die Konturen des abgekratzten toom-Schriftzugs sind noch zu erkennen. Ich drücke meine Nase gegen die Schiebetür. Das Gebäude scheint verwinkelt zu sein. Um die Dachkante sehen zu können, muss ich meinen Kopf ganz in den Nacken werfen. Ich laufe um das Center herum. Es gibt einen Seiteneingang mit Blick auf die Rolltreppe und einen großen Hintereingang mit Ladefläche und Parkplatz.
Das Center hat seit 2018 einen neuen Investor, der Leben in die Sache bringen will. Vier Jahre sind genug Zeit das auszuprobieren, deshalb versuche ich mit meinen Händen die Schiebetür aufzudrücken. Nichts. Ich setze nochmal an. Keine Chance.
Aber: nehmen wir mal an, es wäre unser Einkaufscenter. Wir würden uns natürlich zunächst erst einmal Gedanken über einen neuen Namen machen. Wir würden die elektronischen Überwachungssysteme am Eingang abschaffen. Wir würden sagen: „Entschuldigen Sie, aber hier wird es nichts zu kaufen geben.“ Wir würden bunte Fähnchen in den Wind hängen, auf denen geschrieben stände: „WIEDERERÖFFNUNG JETZT BALD!“
Die Türen wären natürlich schon in der Umbauphase offen. Wir würden im Erdgeschoss beginnen. Es gäbe große Räume und viele Sitzmöglichkeiten, eine offene Küche und einen Kühlschrank mit Getränken. Wir würden uns erstmal eine kalte Limonade aufmachen, uns zusammensetzen und unsere Vorstellungen in den Raum werfen. Wir müssten erstmal reden. Von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang. Wir würden die Pros und Cons abwägen und uns zwischendurch lautstark unterhalten. Wir wären kurz davor, die Liste zusammenzuknüllen und einfach drauf los zu starten, weil wir denken würden: „Was soll schon passieren?“
Wir würden außerdem einen Brief an die Investorenfirma schreiben:
Sehr geehrte Geschäftsleitung,
vielen Dank, dass Sie sich die Mühe gemacht haben das ehemalige Stapel-Center (neuer Name folgt noch) zu kaufen und mit in Ihren Businessplan aufzunehmen. Wahrscheinlich haben Sie seit 2018 noch andere Dinge auf Ihrer Liste, weshalb Sie sicherlich noch nicht dazu gekommen sind sichtbare Maßnahmen umzusetzen. Das ist schade. Aber machen Sie sich keinen Kopf. Wir übernehmen ab hier.
Liebe Grüße und besten Dank!
Wir würden den Brief bei der Post nebenan abgeben und sagen: „Porto zahlt der Empfänger.“
Zurück im Gebäude würden wir uns entschließen, eine unvollständige Liste mit wichtigen Utensilien anzufertigen. Wir beginnen natürlich mit dem spaßigen Teil:
- Fette Anlage
- Cooles Licht
- Nebelmaschine
Wir würden aber schnell feststellen, dass das nicht alles ist. Wir würden sagen: „Es gibt so unglaublich viel Platz hier.“ Also würden wir eine Liste mit Räumen anfertigen, die entstehen sollen:
- Raum für expressive Selbsterfahrung
- Raum fürs Schweigen
- Der Raum als Werkstatt
- Raum zum morgendlichen Wutentladung
Wir würden die Liste fortlaufend ergänzen und natürlich würden wir uns dagegen wehren, dass das Objekt zu einem feuchten Hippietraum verkommt, denn dafür sind wir nicht angetreten. Aber selbst für sie wäre Platz da. Und wenn jemand einwerfen würde, dass es sicherlich Probleme mit der Bauaufsichtsbehörde geben würde, wäre uns das egal, denn wir glauben nicht an Baugenehmigungen. Wir würden sagen: „Das sind nur Paragrafen. Das wird schon gehen so.“
Natürlich müssten wir uns zu einem gewissen Zeitpunkt darüber Gedanken machen, wer für die Anschaffungen aufkommen soll. Wir würden damit argumentieren, dass wir natürlich mit der Idee eine extreme Aufwertung für die gesamte Umgebung darstellen, dass wir im Gegensatz zu dem Investor wirklich Leben in die Bude bringen. Jemand würde dann sagen: „Das besprechen wir morgen. Jetzt gibt’s erstmal Bier.“
Und so würde es dann auch kommen. Es würde Bier getrunken werden, es würde Musik über eine viel zu kleine Bluetooth-Box mitten in dem ehemaligen Supermarkt laufen. Zum Beispiel dieser Song hier: Walking on A Dream – Empire of the Sun
Im Morgengrauen würde sich die Gruppe dann trennen. Es würde noch ein bisschen auf den leeren Straßen herumgeschrien werden und am nächsten Morgen würde jemand in die Gruppe schreiben: „Wann denn heute? Bin ganz schön platt.“