Das Foto zeigt einen Reiter auf einem Pferd

Ausflug in eine fremde Welt

Ob und wie die Reit-Europameisterschaft in den Blog einfließen würde, darüber habe ich lang nachgedacht. Selbst habe ich gar nichts mit dem Reitsport am Hut, saß allerhöchstens in Kindertagen mal auf einem Pony. Aber das war es dann auch. Das große Interesse an dem Sportereignis hatte ich nicht von Beginn an empfunden. Überzeugt haben mich am Dienstagabend allerdings die vielen übervollen Shuttle-Busse, die die Reitsportbegeisterten zur Eröffnungsfeier chauffierten. Als sie an mir vorbeifuhren, fühlte ich mich ein wenig an die Zeit während der Fußball-WM 2006 erinnert. Deswegen nahm ich mir vor, mir den ersten Turniertag anzuschauen. Wenn hier sowohl das größte Reitturnier der Welt als dieses Jahr auch die Europameisterschaften ausgetragen werden, dann gehört das doch auch zur Identität Aachens, oder? Ich meine schon.

Das Foto zeigt eine Reiterin auf einem PferdKaum aus dem Bus gestiegen, kamen mir die ersten Reiterinnen in Reithosen und mit breitem Grinsen entgegen. Vielleicht war es zu offensichtlich, dass ich nicht in diese Welt gehöre – wie auch immer. Auf dem Weg zum Einlass kommt man an den Stallungen vorbei. Es riecht plötzlich nach Pferd. Aber nur dort. Auf dem gesamten Gelände habe ich den Geruch später nicht mehr wahrgenommen, obwohl ich den Tieren bis auf zwei, drei Meter nahe kommen konnte. Für meine Verhältnisse schon fast zu nah, denn die muskelbepackten Riesen können einem gehörigen Respekt einflößen. Und es lief auch nicht immer alles nach Plan: Eine Reiterin konnte ihr Pferd nach ihrer Dressur nur schwer beruhigen. Das Pferd war noch im Tunnel – ehrgeizig und aufgewühlt. Es wollte die Reiterin nicht aus dem Sattel lassen. Einmal rumste es mit den Hinterläufen gegen die Holzbarrikade. Alle Besucher waren froh, dass das Gatter dort stand. Teammitglieder, Trainer und Freunde der Reiterin mussten schnell zur Seite gehen, als das Pferd erneut versuchte, sich Platz zu verschaffen. Jedes Mal raunten die Zuschauer. Die Reiterin versuchte ihr Pferd zu beruhigen, verharrte starr mit den Zügeln in der Hand im Sattel. Das Pferd begann daraufhin, nochmals einen Teil aus der Dressur aufzuführen, konnte sich dadurch aber letztendlich wieder beruhigen. Das obligatorische Fernsehkurzinterview nach dem Ritt war damit geplatzt.

Das war einer der Momente, in dem mich die Reitveranstaltung für sich gewinnen konnte. Gerade, weil sie solche Szenen zulässt. Man könnte die Pferde auch durch einen Hintereingang schleusen, aber der Kontakt ist gewollt und gut so. Auch das Zuschauen an sich hatte für mich als Laien etwas Kontemplatives: Meist klassische Musik, nahezu absolute Stille im Stadion und einfach mal Hinsehen, ohne etwas bewerten zu können und müssen. Fasziniert haben mich auch die Zuschauer um mich herum, die sehr viel von dem verstanden, was auf dem Sand im Viereck gezeigt wurde. Sie flüsterten einander auf Englisch, Französisch, Spanisch, Holländisch, Deutsch oder Italienisch Dinge zu – etwa ob die Pirouette oder Passage gelungen war – und jubelten über einen erfolgreichen Abschnitt der Dressur.

Das Foto zeigt ein Schild mit der Aufschrift "Kreuzung Pferdeweg Horses Crossing" und einem PferdelogoAuch das Streifen durch die weiße Zeltstadt bietet dem Pferdelaien einige Überraschungen. Die Besucher deckten sich mit Zaumzeug, Satteln und allen möglichen Utensilien ein. Immer wieder wurde ich an den Pferdekreuzungen gestoppt, weil ein Pferd auf dem Weg zum Stadion oder zu den Stallungen vorbeigeführt wurde. Manch ein Gespräch schnappte ich auf und musste schmunzeln, weil es zum Beispiel so begann: „Hallo. Wie geht’s? Sind deine Pferde gesund?“.

Nach dem Tag in der Soers bin ich mir sicher, dass es nicht mein letzter Besuch dort gewesen sein wird. Denn der Ausflug in eine mir völlig fremde Welt war unterhaltsam, entspannend und erfrischend wie ein Kurztrip an einen noch unbekannten Ort.

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