Arbeitsjournal: Freitag, 18. September

Kürzlich hatte ich das schon beschrieben: Wenn man mit etwas anfängt, dann schrumpft die Gegenwart ein und die Zukunft wird übergroß. Mittlerweile hat sich das schon wieder verändert. Die Gegenwart wird nun übergroß. Phasenweise bricht die Zukunft in die Gegenwart ein, nimmt sich ihren Raum, weil man auf E-Mails, Fragen und so weiter reagieren muss. Das kennt jeder aus dem Alltag. Was mich in der jetzigen Phase des Projekts in Sachen Zeit beschäftigt, ist das übergroß werden der Gegenwart. Wahrscheinlich ist das gar kein Zeitphänomen, sondern eher das Gefühl der tausend Möglichkeiten, die dann durch die Zeit begrenzt werden. Auch das kennt jeder. Allerdings kommt in meinem Fall die Zeitgrenze von vier Monaten hinzu, die das Gefühl vervielfacht. Und zudem noch der Faktor der Fremde, der mein Schreiben und letztlich auch das Leben vor Ort verlangsamt und bremst. Wie im Urlaub, wenn man sich in der Fremde vortastet, sich Raster anlegt, sie mit Wiedererkennungspunkten absteckt, bis man ohne Navigationshilfen klarkommt. Das bemerke ich auch im Schreiben und fühle mich durch das recherchierende Vortasten teilweise ausgebremst und würde gerne schneller sein. Manchmal habe ich dann das Gefühl, mich im Dschungel der Gleichzeitigkeit – sehen, sein und schreiben – zu verlaufen. Andererseits ist es unheimlich spannend und ich genieße die Zeit und die Konzentration der Möglichkeiten im Moment, wenngleich sie auch anstrengend sind.

Heute werde ich an einem interreligiösen Spaziergang durch das Ostviertel teilnehmen. Morgen besuche ich den Auftakt des Projektes „Nach Stockhausen“ mit einem Konzert von Ulrike Haage & Band.

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