Von schönen toten Räumen (Stadt Kirche Raum)
3. Oktober 2017
Der Weg zu meinem Ziel fast idyllisch. Den Shoppingwahnsinn im Rücken. Links ein Park. Auf den zweiten Blick erst Menschen, denen Räume verschlossen blieben oder wurden, die mein privilegierter Alltag sind. Kontrast von ordentlichem Park und ordnungslosem Alltag drogenabhängiger Menschen. Viel öffentliche Sorge um Schein. Und was ist mit dem Sein?
In der Nachbarschaft aber auch: aufgeräumte Häuser, öffentlich und kirchlich getragen. Suchtberatung, Franziskusküche, Seniorenheim, Kita. Räume für ein besseres Sein. In einem dieser Häuser, Tiefparterre, das Büro Frau Frankenbergs. Gemeindereferentin des Pastoralverbunds Hamm, beauftragt, unter anderem, Räume zu öffnen.
Die Nachbarschaft geprägt von den genannten Einrichtungen. Von Menschen unterschiedlicher Hintergründe. Gegensätze, Widersprüche, Konflikte. Was kann da Kirche?
Kirche ’neu denken‘ ist leicht gesagt. ‚Neu denken‘ ist en vogue. ‚Neue Konzepte‘ gewinnen möglicherweise Ausschreibungen. Neue und nachhaltige Strukturen sind diffiziler. Wie der Kirchenraum der Kirche St. Agnes vor sechs Jahren neu gestaltet wurde, ist da immerhin überraschend.
Vor der Kirche St. Agnes ein großer Vorplatz. Geeignet zum skaten und Ball spielen. Ist verboten. Aber auch geeignet für: die Nachbarschaft. Die Gemeinschaft. Für Begegnung, außerhalb eines vorbelasteten Raums. So die Grundidee für das Projekt ‚Kirche im Quartier‘, passiert im vergangenen Juli. Grundidee: Ein Raum für die Nachbarschaft, unterschiedliche Möglichkeiten zur Begegnung.
Junge Menschen, aus Kitas, Schulen und Berufsschulen sind tatsächlich gekommen. Tatsächlich entstanden Begegnungen, die sonst wohl kaum stattfänden. Und tatsächlich: viele trauten sich doch nicht. Die drei Stufen auf den Vorplatz als unüberwindbare Hürde. Fragen und Skepsis. Wird hier missioniert?
Respekt, immerhin steht Kirche drauf.
Kein Glaube mehr an uneigennütziges Handeln, an selbstloses Handeln. Heute, 2017.
Im Gespräch mit Heike Frankenberg die Erkenntnis: kein Mangel an Räumen, immerhin in Hamm. Aber doch, das ist nicht Hamm-spezifisch, ein großer Mangel: Mut, Räume und Verantwortung über solche abzugeben, einerseits. Mut zur Übernahme von Verantwortung für einen Raum, andererseits.
Die Stadtzentren von Verbünden und Vereinen verwaist. Die nur in den Vororten. Räume der öffentlichen Begegnungen dominiert von elitären Vorahnungen. Theater und Kirche, zum Beispiel.
Immer weniger Räume in Stadtzentren, die unvorbelastet sind. Ein Mangel. Belastet mit einer Vorahnung davon, dass nichts mehr ohne Eigennutz funktioniert. Belastet mit Geschmäckle. Von Elite, von Deutungshoheit, von Hoheit der Narration. Das Angebot ‚Wir sind für alle da‘ kann zur Drohung werden. Oder zur Worthülse.
Wer sind wir? Wer sind alle? Was ist ein Raum?
Wie sind die analogen Räume gestaltet, die ernsthaft mit den digitalen konkurrieren können? Muss von der Tendenz zu schnellem Chatten, das reale Gespräch ersetzend, gelernt werden? Kann das adaptiert werden? Wer weiß, was andere Menschen brauchen? Expert*innen aller Professionen sind gefragt. Synergien. Transdisziplinarität. Architektur, Soziologie, Informatik, Pädagogik. Usw. You name it. Die große Gefahr: Entscheidungen von oben für unten. Top-Down. Hierarchien. Für, aber ohne die Zielgruppe.
Gut intendierte Räume gebe es viele. Aber es mangele an Konzepten, die Räume zu füllen. Und da das titelgebende Zitat: Es gibt viele schöne, aber eben auch tote Räume.
Gut gemeint ist noch lange nicht gut.