Wwoofen – die etwas andere Reise
18. Juli 2016
Folge 3: Reisen und Helfen
Wilder Wein rankt über der Eingangstüre am Hof „4Linden“. Klingeln. Nichts regt sich. Nochmal klingeln. Wieder nichts. Na gut, dann einfach direkt über die Hofeinfahrt; hinten rum am Haus vorbei. Ein Hund. Ein Huhn. Oh, noch mehr Hühner.
Ein Garten voller kleiner Häuschen, Hängematten und mittendrin, da steht Andreas Dilthey. Andreas ist bestimmt zwei Meter groß, hat Hände, die vom Schaffen sprechen und ist Vater von 5 Kindern. Architekt, Bildhauer, Lehmbauer, Entwicklungshelfer; all diese Titel passen zu Andreas. Seit 34 Jahren lebt er bereits in Vetschau, im Aachener Nord-Westen, und hat sich hier ein außergewöhnliches Idyll geschaffen.
Ein Walnussbaum wächst durch das Dach der Veranda, von der man einen vom Sommerregen geschützten Blick über das Gelände hat. In der Ferne thront Magarete, die Ziege auf ihrem Baumstumpf; unter der üppig blühenden Hortensie igelt ein Hundewelpe umher und ein paar Hühner versuchen sich klammheimlich, einen Weg in die offene Küche zu bahnen. Der Hof hat ein bisschen etwas von einem Bilderbuch. Irgendwo zwischen Filmkulisse für Bullerbü oder „Die wilden Hühner“. Denn ob nun Huhn, Hund oder Hase, auf dem Hof laufen die meisten Tiere freiumher. „Mit steigendem Alter haben meine Kinder das Interesse für die Hasen verloren“, erzählt Andreas. Damit die Armen nicht immer im Stall hocken mussten, habe er sie einfach rausgelassen; „weggelaufen sind sie nie.“
Doch neben den Tieren und festen Familienmitgliedern wohnen auch zahlreiche Gäste auf Andreas Hof: die Wwoofer. „Sie arbeiten eine Zeit lang gegen Kost und Logis an den ökologischen Projekten auf dem Hof mit“, erzählt er. Und das schon seit über fünf Jahren.
Wwoofen weltweit
Das Konzept für Wwoofen – „World-wide opportunities on organic farms” – wird von der Idee getragen, Menschen zusammenzubringen, die einen naturverbundenen Lebensstil auf dem Land führen – oder aktiv kennen lernen wollen. Ob nun in Australien, Nepal oder eben in Vetschau – weltweit kann man in über 100 Ländern der Welt Wwoofen. Die Organisation wurde 1971 in England gegründet. In Deutschland gibt es inzwischen mehr als 400 Wwoof-Höfe.
„Im Moment wohnen hier neun Leute“, sagt Andreas. Miti und Juri aus Rumänien, Andreas aus Berlin, Katrin aus Mannheim, Ina aus der Ukraine und vier Geflüchtete aus Bangladesch. Insgesamt waren schon fast 40 Wwoofer aus aller Welt auf dem Hof.
Katrin (30) studiert eigentlich Bio und Chemie in Mannheim und nutzt ihre Semesterferien für einen dreiwöchigen Ausflug ins Aachener Land. „Ich mache das nun schon zum dritten Mal“, erzählt sie. In Australien hat sie ein Jahr lang gewwooft „und in Portugal war ich mal bei einem Mann, der komplett Aussteiger war.“ Dort habe es nicht mal Warmwasser gegeben. Katrin lacht. Ihre Dreadlocks brauchen zwar nicht jeden Tag eine Dusche, aber auch sie ist froh, dass es auf Andreas Hof auch mal eine Wärmflasche für die doch etwas kälteren Nächte gibt. Die freiwillige Arbeit auf dem Hof, im Einklang mit der Natur und anderen, ist gerade das, was Katrin so toll findet am Wwoofen: „Ich meditiere jetzt nicht mit Eseln, aber das ganzheitliche Konzept hier, finde ich toll!“
Denn neben dem Alltäglichen wie dem Versorgen der Tiere oder dem Kochen ist der Hof auch Treffpunkt des Vereins „Afrikamorgen“, der sich unter anderem für die Unterstützung eines Waisenhauses in Ghana und der Errichtung eines Gartens mit Heilkräutern einsetzt. Das Wwoof-Konzept und zahlreiche weitere ehrenamtliche Projekte können nur funktionieren, weil Andreas zusammen mit seiner Frau neben Führungen über den Hof auch Töpfer- und Trommelkurse, Kindergeburtstage und verschiedene Projekte für Schulklassen sowie Eselwanderungen und Kutschfahrten anbietet. „Vor ein paar Jahren mussten wir entscheiden, wie und ob es weitergehen kann“, erzählt er. Nicht immer einfach, das merkt man auch Andreas an. Aber durch die Vermietung von einigen Schlafmöglichkeiten, sei die Lage für den Hof besser geworden.
Mal ist es ein alter Bauwagen, der für Gäste kuschelig hergerichtet wurde; mal ein selbstgebautes Ein-Raum-Häuschen. Andreas hat hier alles – auch die Fachwerkhäuser – selbst gebaut. „Das Haus hier“, Andreas deutet auf ein weißgetünchtes Häuschen mit verschnörkeltem Terrassenvorbau, „habe ich mit einem Gemisch aus Molke, Kalk und Quark angestrichen.“ Außerdem entsteht gerade aus zwei Weidenbaum-Tipis die Grundlage für ein Honeymoon-Baumhaus. Das alles klingt total abgefahren, aber Andreas weiß, was er da tut.
1977 kam er nach Aachen, um Architektur zu studieren. „Mein Opa hat mich im Studium unterstützt“, erzählt Andreas. Mit dem Geld hat er sich dann das Land in Vetschau gekauft und machte hier schon während des Studiums erste Lehmbauerfahrungen. Nebenbei arbeitete er am Lehrstuhl für Plastik und Bildhauerei der RWTH Aachen und war ganze 18 Jahre als Architekt und Bildhauer in der Kirchenausstattung und Renovierung in der Region unterwegs. Noch heute findet man seine Arbeiten zum Beispiel in der Kirche St. Gereon in Köln. Doch diese Arbeit wurde schließlich durch eine neue Art von Projekten abgelöst: „Ich wurde für ein Projekt im Kongo angefragt und durfte dort in ganz anderen Maßstäben arbeiten.“ Eine Fläche von zehn Quadratkilometern standen Andreas für die Planung eines Areals zur Verfügung. Doch wie baut man in einem Gebiet, wo der Transport von Baurohstoffen schwierig ist? Andreas stampft mit dem Fuß auf. „Nutze die Dinge, auf denen du stehst.“ Humus, Lehm, Sand – all diese Rohstoffe seien zum Beispiel auf seinem Hof zu finden. Das zu nutzen, was man schon hat, ist eine seiner Lebensphilosophien.
Autonom sein, so weit wie es geht, das will Andreas vermitteln. Denn insbesondere in armen Gegenden hat er Korruption kennen gelernt: „In Projekten im Kongo oder in Afghanistan habe ich das immer wieder gemerkt: Man muss den Bedürftigen direkt helfen.“ Um gut zu leben, brauche man vier Dinge: „Ein Dach überm Kopf, Kleidung, Versorgung mit Nahrung und Wasser und Energie.“ Andreas streicht mit einer Hand ein seiner Konzeptmappen auf und zeigt auf ein Konzept, das an ein Mandala erinnert. Andreas Projekte haben nicht nur einen pragmatischen und ökologischen Charakter, sondern auch einen Anspruch an Ästhetik. Doch weltfremd ist er nicht. Auf Fragen wie: „Haben die Tiere hier auch Namen?“, antwortet Andreas zum Beispiel erst gar nicht. Und obwohl er die Kraft von Heilpflanzen kennt und unterstützt, macht er deutlich, dass es auch Krankheiten gibt, die nur ein Arzt beheben kann. Andreas gehört nicht in die Schublade: „Schöngeist und überesoterisch“. Auch „Selbstversorger“ passt nicht; dafür trinkt er zu gerne Kaffee. Und Schokolade, die isst er auch. „Es geht mir einfach darum eine Gemeinschaft zu erschaffen, in der ein harmonisches, sinnerfülltes Leben im Einklang mit der Natur möglich wird“, sagt er.
Mit seinem Hof hat er sich einen Traum verwirklicht. „Wenn du da bist, bist du da“, sagt er über das Kommen und Gehen der Wwoofer. Grundsätzlich plant er nur zwei Tage im Voraus. Andreas ist zwei Meter groß, hat Hände, die vom Schaffen sprechen. Er ist Papa von fünf Kindern und für die Reisenden irgendwie auch.
Wie ich Andreas kennenlernte…
„Siezen oder Duzen?“, habe ich Andreas gefragt, als ich vor ihm auf seinem Hof stand. Doch er drehte sich um und ließ mich stehen. Ich war zunächst recht verwirrt; bin ihn dann aber einfach hinterher gegangen, um einen Kaffee auf der Veranda zu trinken. Über vier Stunden haben wir uns unterhalten. Und ich muss ehrlich sagen, ich habe selten jemanden kennen gelernt, der so in sich ruht wie Andreas. Und ich wünsche mir, dass mehr Menschen so mit ihrer Umwelt umgehen, dass mehr Menschen so authentisch sind, und dass mehr Menschen ihre Finanz- und Lebenskonzepte in Mandalas festhalten :-).