dort, wo ich herkomme, heißt „da“ „do“. dass ich ausgerechnet in DO meine homebase aufschlagen würde, war eine überraschung. dortmund? da da war ich doch schonmal…
rückblick dortmund 1998: im innenhof vom atelier kai richter stehe ich am stand meiner aktion D.E.P. und versuche die sturen westfalen dazu zu bewegen ihre die eigene partei zu gründen. es ist zwar eiskalt doch wodka red bull verleiht uns (thomas horneber, axel honer und mir) warme flügel… irgendwo unterirdisch spielt die gruppe MULTER, aber man kann sie nicht sehen… wo war elvis pummel eigentlich an dem abend? ihn und die dortmunder indoorsurfers (mario schulte, harald wissler und kay berthold) hatte ich 2000 bei EXTRAPOOL in nijmegen kennnengelernt. ein paar jahre später seelensanierung & altlastenentsorgung in einem ehemaligen autohaus, wo mich kay als dr. brandstifter im artzkittel ablichtet.
irgendwo in der innenstadt noch als BRANDSTIFTER LIVE VOM BÜGELBRETT BRANDSTIFTER LIVE VOM BÜGELBRETT wild & laut eine disco fast leergespielt. danach den vagen plan auf dem weg nach hannover oder berlin mal beim elektrischen kaminabend im sissykingkong aufzuschlagen und bis heute losen kontakt mit den exildortmündern harald & mario (STEINE) und dessen bruder doc schoko in mainz und berlin.
schließlich november 2019 der telefonanruf vom kulturbüro niederrhein: die jury hätte getagt und mein projekt für toll befunden und für ein stipendium ausgewählt. alle regionen wären interessiert gewesen. wärmster empfang auf allen kanälen! als regionschreiber soll ich nun in vier monaten das ruhrgebiet auflesen und eine ASPHALTBIBLIOTHEQUE aus gefundenen texten errichten – ich, der interdisziplinäre aktionskünstler, der kunstwolf im literaturpelz aus rheinland-palz. das ruhrgebiet hatte ich mir wegen stadtbesetzung/urban art rausgesucht, wo ich 2015 in bergkamen meine fundzettel im fahrplanschaukasten einer bushaltestellenbahnhof neben der fahrertoilette ausstellen durfte und für eine livesendung zum WDR fernsehen nach düsseldorf eingeladen wurde. ein jahr später noch ein schulprojekt mit der europaschule im schaurig schönen castrop-rauxel. danach war klar: interessante geschichte. landschaft mit viel grün und industrieromantik, mit viel handgeschriebenem, auch in fremden sprachen und schriftzeichen: der RUHRasphalt hat POTTential!
und nun wieder nach DO? aber gerne! also im merzen den brandbeschleuniger vollgeladen und horch was kommt von draußen rein durch das regennasse sauerland über die A45, die mir über meine projektstipendien im künstlerdorf schöppingen und kloster gravenhorst wohl vertraut ist.
erst mal andocken im hafen bei meinen gastgebern claudia, kai und frankie vom depot. als ich vor meinem wohnatelier in der adlerstraße stehe mache ich meinen ersten fund: ein packen aufgeweichter berufschulzeugnisse in einer mürben klarsichthülle
und ernte auf dem weg zum supermarkt noch einige preziosen wie diese bunte A5 kinderzeichnung, die 3x gefaltet vor dem missin‘ link lag…
#mein muensterland – Interview mit Regionsschreiberin Claudia Ehlert
31. Oktober 2017
Das Projekt stadt.land.text NRW 2017 geht zu Ende. Vier Monate lang waren zehn Regionsschreiberinnen und Regionsschreiber dank des Jubiläums 20 Jahre Regionale Kulturpolitik NRW in den zehn Kulturregionen des Landes unterwegs. Sie haben sich dem Alltag und der kulturellen Vielfalt NRWs auf ganz unterschiedliche Weise schreibend genähert und so einen anderen Blick auf die Besonderheiten und Alltäglichkeiten der zehn Regionen geworfen.
Claudia Ehlert war im Münsterland unterwegs. Mit ihrem Campingbulli. Vier Monate lang on the road das Münsterland im wahrsten Sinne des Wortes erfahren und via Logbuch online einen Einblick in ihre Erlebnisse geben – das war ihr Projekt. Dabei standen abgelegene Orte und damit verbunden Menschen in Bewegung im Mittelpunkt ihres Schreibens und Fotografierens. Zum Abschluss stellen wir all die Fragen, die gerne (öfter) hätten gestellt werden dürfen. Ein exklusives Interview für stadt-land-text.de mit der Regionen-, pardon, Regionsschreiberin des Münsterlandes:
SLT: Na, wie is?
Ehlert: Joa, ne. Und selbst?
SLT: Jo.
An dieser Stelle ist das Interview für alle Westfälinnen und Westfalen beendet und alles Essenzielle gesagt. Für die anderen, die gerne viele Worte machen, geht es an dieser Stelle weiter:
SLT: Vier Monate lang im Bulli unterwegs. Leben, arbeiten und schlafen im Campervan. Da fragen sich unsere LeserInnen natürlich: Wo duscht man eigentlich?
Ehlert: So viele Vorteile das Leben in Bewegung hat – ein eigenes Bad mit Wanne und Dusche gehört tatsächlich nicht dazu. Wenn ich im Bulli übernachtet habe (Ich habe nach wie vor meine kleine Wohnung in Münster behalten. Hat man erstmal eine schöne bezahlbare Wohnung in Münster gefunden, gibt man sie nicht so einfach her), geschah dies auf Stellplätzen oder Campingplätzen. Um die Illusion des viral gehenden Bildes von historischen Bullis an stillen Waldseen und inmitten wilder Wiesen in nostalgischen Sepiatönen mal gleich zu Beginn zu zerstören. Ich saß übrigens auch nicht bei Sonnenuntergang auf dem Dach des Bullis oder habe vor der geöffneten Seitentür im Morgengrauen Yoga gemacht. Stichwort: #therealvanlife. Stellplätze, oder auf Parkplätzen ausgewiesene Wohnmobil-Stellflächen, liegen praktischerweise in der Regel in der Nähe von Frei- oder Hallenbädern. Campingplätze bieten ihren BesucherInnen sanitäre Anlagen zur Benutzung an. Für 50 Cent haben Sie dann drei Minuten warmes Wasser. Für die 5-Minuten-Haarkur müsste man also aus der Dusche rausschlappen und noch eine Münze nachwerfen.
SLT: Der Bulli und Sie: „Gefährt und Gefährte“ Ihres Road Trips, haben Sie in einem Ihrer Einträge Ihre Beziehung beschrieben. Eine noch recht junge Beziehung, wie uns berichtet wurde. Nach vier Monaten intensiver Kennenlernzeit auf engstem Raum – die erste Verliebtheit vorbei? Knirscht es auch mal im Getriebe?
Ehlert: Frisch ist die Beziehung in der Tat noch. Anfang des Jahres haben wir uns kennen gelernt. Während der Ausbauphase, die mehrere Wochenenden in Anspruch genommen hat, ist der T5 allerdings bereits ein Teil der Familie geworden. Der große Testlauf startete im Mai, als wir in 18 Etappen bis zum Nordkapp und zurück unterwegs waren. Kleinere Missstimmungen gibt es ja in jeder guten Beziehung – ein fiepender Ladebooster, ein röhrender Lüfter – aber der große Streit blieb da aus. Umso erschrockener war ich, als der ‚Neue‘ gleich im ersten Monat im Münsterland unweit der Burg Hülshoff plötzlich ausfällig wurde. Die leuchtende Motorkontrollleuchte hat mich die ganze Partnerschaft auf einen Schlag in Frage stellen lassen. Was, wenn er jetzt hier stehen bleibt? Muss ich dann doch alleine weiter?
SLT: Hatten Sie eigentlich keine Angst?
Ehlert: In diesem Moment tatsächlich schon. Vor allem vor den Menschen um einen herum. So viele potentielle helfende Hände, die es zu enttäuschen gilt. Menschen, die einen beim rückwärts Ausparken einweisen, die einem bereitwillig den Weg zeigen, die mit eigenen Erlebnissen zur Stelle sind. Leider kann man nicht jede Hilfe annehmen. Noch dazu, wenn man durch die eigene nunmehr zehnjährigen Fahrerfahrung auf einen Vorrat an angesammeltem und erlerntem Wissen zurückgreifen kann.
SLT: Sie sagten ja in einem Interview zu Beginn des Projekts, dass der Bulli die Menschen anzieht, dass er wie ein Katalysator für Gespräche ist. Scheinbar auch für Hilfsbereitschaft. Was ist noch besonders am Erfahren der Region mit einem Bulli?
Ehlert: Der Bulli macht das Aufsuchen bestimmter Orte, so, wie ich sie kennenlernen konnte, erst möglich. Orte, die ab vom Schlag liegen, hatte ich mir zum Ziel gesetzt. Das waren Orte, die vielleicht nicht so präsent sind in der Wahrnehmung des Münsterlandes, weiße Flecken auf der kulturellen Landkarte. Aber das waren auch ganz buchstäblich Orte, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln gar nicht oder nur bedingt erreichbar sind. Der Blick durch die Windschutzscheibe, er verstellt nicht die Sicht auf die Region. Er öffnet ihn auch nicht unbedingt. Er schlägt sich aber in seinem Festhalten nieder. Er ist – nur oder gerade eben – ein anderer.
SLT: Sie leben und arbeiten seit einigen Jahren aufgrund Ihres Studiums in Münster. Wie hat sich Ihr Blick auf das Münsterland durch die letzten vier Monate verändert?
Ehlert: Ich glaube, durch die andere Art der Fortbewegung hat sich mein Blick vor allem geweitet. Die Erfahrung habe ich schon mit Beginn des Projekts, mit der ersten Parkplatzsuche in Münster gemacht. Münster ist DIE Fahrradstadt. Und egal, wie lange man schon dort wohnt, wie gut man sie zu kennen glaubt: das erste Mal mit dem Auto richtet den inneren Stadtplan völlig neu aus. Bekannte Orte, das Festival in Beelen, das Kloster am Emsradweg, sehen aus dieser Perspektive ganz anders aus. Auch mir zuvor unbekannte Orte sehen mit dem Blick der Regionsschreiberin anders aus. Dem mehr und mehr vernetzten und vernetzenden Blick.
SLT: Nach welchen Kriterien haben Sie die von Ihnen besuchten Orte ausgewählt? Wie sind Sie vorgegangen?
Ehlert: Die Zusage für das Stipendium kam, mitsamt der zugeteilten Kulturregion, Ende März diesen Jahres. Neben diversen Presseanfragen habe ich mich mit dem Projekt also bereits durch Recherche im Vorfeld zeitintensiv beschäftigt. Die Recherchen begannen bei Gesprächen mit Familie, FreundInnen und KollegInnen, dem Querlesen von (Auto-, Fahrrad-, Wander-, allgemeinen) Reiseführern älteren und neueren Datums, gingen über alle Broschüren, derer ich in der Touristeninformation in Münster habhaft werden konnte, diverse Materialien und Hinweise des Teams um das Kulturbüro des Münsterland e. V.s, bis hin zu teils in Details ausufernden Internetrecherchen. Wie mit Sicherheit auch in den anderen neun Kulturregionen gibt es im Münsterland eine Vielzahl von Kulturinstitutionen, Vereinen, KünstlerInnen, Tourismuseinrichtungen, Unternehmen und deren Social Media Plattformen und, nicht zuletzt, anderer Blogs, die sich mit der Region und Kultur in allen Facetten beschäftigen.
SLT: Spielte auch die Literatur der Region eine Rolle? Ist da doch irgendwo das Studium der Literatur- und Kulturwissenschaft mit eingeflossen?
Ehlert: Mich hat während der Stipendiumszeit Literatur aus Westfalen und dem Münsterland begleitet. Klassiker, wie Jägersbergs Weihrauch und Pumpernickel, Denneborgs Das Wildpferd Balthasar oder Wincklers Der tolle Bomberg. Aber auch Jüngeres. Otrembas Über uns der Schaum oder Etgetons Rucksackkometen. Viele Autorinnen und Autoren stammen aus dem Münsterland, bzw. Westfalen, leben hier oder machen hier mal wieder Station, mit Blick auf die Beckumer Berge. Auch aus diesen Texten und Begegnungen habe ich Ideen für weitere Texte, weitere Orte entwickelt. Letztlich kann man sagen, ich habe viele Orte des Münsterlandes gesehen. Und über die geschrieben, die mich irgendwie gepackt haben, mit denen ich etwas anfangen konnte. Hat mich an einem Ort nichts gepackt, ist kein runder Text entstanden. Und ich konnte fortfahren.
STL: Sind Ihnen bestimmte Orte besonders im Gedächtnis geblieben? Empfehlungen für den Kurztrip? Das Wochenende? Die Ferien im Münsterland?
Ehlert: Ich war an sehr unterschiedlichen Orten. Sei es tief im Untergrund, in den Kellern des Münsterlandes, ebenso wie auf seinem Balkon. Oftmals waren es Orte, wo die Vergangenheit sichtbar ist und auf die Gegenwart, manchmal auch auf die Zukunft trifft. Ich war an Grenzen, wo Konzepte bröckeln und sich zersetzen. Wo sie hinterfragt werden. Müssen. Wer durch meine Texte von mir besuchte Orte aufsuchen möchte – gerne. Vermutlich wird man sie, einmal selbst vor Ort, aber ganz anders wahrnehmen. Es ist ja nun doch – nur oder gerade eben – EINE Perspektive.
SLT: Was nehmen Sie von den verschiedenen Begegnungen, von denen Sie in Ihren Texten erzählen, vor allem mit?
Ehlert: Die Menschen, denen ich begegnet bin, sind tatsächlich sehr unterschiedlich gewesen. MünsterländerInnen und Zugezogene oder BesucherInnen, Kinder und Erwachsene, KünstlerInnen und KulturvermittlerInnen, Kulturinteressierte und nicht-so-aber-dann-doch-Interessierte, KulturmanagerInnen, PolitikerInnen, MitarbeiterInnen der Presse verschiedenster Medien. Es waren viele tolle Begegnungen. Inspirierend, bereichernd, prägend. Engagierte und sympathische Menschen, die oft weit mehr tun und leisten, als das, was von ihnen bspw. jobtechnisch verlangt wird. Oftmals. Manchmal auch weniger.
Kunst und Kultur ist wichtiger Bestandteil der Region. Im Gespräch mit verschiedenen KünstlerInnen habe ich immer wieder die Erfahrung gemacht, dass sich von der künstlerischen Tätigkeit allein in der Regel aber nicht leben lässt. Entweder gibt es einen Job zur Sicherung des Lebensunterhalts. Oder aber das Angewiesen-Sein auf Stipendienprogramme. Alle Menschen, die ich getroffen habe, hatten eines gemein: die Bewegung. Im Alltag, in der Freizeit, im Job, im Privatleben. Und man kommt mit Ihnen ins Gespräch – wenn man aufrichtig interessiert ist und bereit, sich Zeit zu nehmen.
Das, was uns verbindet, ist der Geruch des Unkonventionellen. Wir sind Feldforscherinnen mit einem Hang zur pragmatischen Romantik. Alles, was wir sehen, ist aus sich heraus mit einer Schönheit verbunden, die sich durch das Zusammenspiel von Brüchen ergibt. Vollkommenheit durch Unvollkommenheit, es ist das Prinzip unserer Beobachtungen. Das haben wir geübt, gemeinsam, vier Monate lang. Wir haben zusammengesessen, abends, am Küchentisch, haben über Begebenheiten gesprochen, Vorfälle und Auffälligkeiten. Das hätte dich interessiert, haben wir uns einander gesagt. Das hättest du sehen sollen. Gemeinsam haben wir eine Karte angelegt, eine Kartografie des Alltags – es ist zu meinem Forschungsvorhaben geworden, die nächsten Jahre und darüberhinaus (danke).
Im Konzerthaus fallen wir nicht auf, wir sitzen ruhig und husten wie alle anderen nur zwischen den Stücken. Wir fühlen uns wohl in diesem kastenförmig lila-weiß ausgeleuchteten Konzertsaal, bräuchten den Anblick der Orgel aber nicht (zu religiös konnotiert). Wir lassen uns ein auf die Geigen und ihre wogenden Bogen, auf die roten Wangen des Klarinettenspielers und die Leichtigkeit der Kontrabassist*innen und Cellist*innen. Dirigentenlos! ist das Credo das Abends, und das Überraschungsmoment nach der Overtüre: Erstmal wieder aufstehen, im Konzertgraben verschwinden; die Erste Geige, die für Sekunden vor verschlossener Tür steht, einfach, weil er die Erste Geige ist und es nicht zu seinen Aufgaben gehört, sich selbst Türen zu öffnen, eine elitäre Haltung, die durch das Hereinfahren des Klaviers fein gebrochen wird.
Unser Liebling ist der Paukenspieler. Er sitzt auf einem blauen Bürostuhl, seine Beine sind zu kurz, ist er nicht im Einsatz, schwebt er über dem Boden.
Wir sehen so viel,
wir sind Stenografinnen unserer eigenen Flüchtigkeit.
Aber, wohin damit?
Wohin mit all den inneren Aufzeichnungen?
Permanentes Mitteilen, ständiges Aussprechen des Moments im Moment,
es müsste eine Aufnahmefunktion dafür geben.
Und ein Archiv, das sich selbst verwaltet.
Beobachten um des Beobachten willens; als wir das Konzerthaus verlassen, ist die Vollkommenheit da: eine Gruppe von Partygängern, in den Händen Dosenbiere und Liebschaften, auf dem Weg zu einem der vielen Imbisse im Brückviertel. Ein Kontrast, der das Ende einleitet. Perfekter wird es nicht. Und dann müssen wir auch gar nicht auf die Stadtbahn warten. Sie steht nämlich schon da. 22:16 Uhr
>Letzter Abend in Dortmund<
Meinen letzten Abend im Ruhrgebiet habe ich im Konzerthaus Dortmund verbracht. Zu Gast war der US-amerikanische Pianist Murray Perahia, der gerade mit der Academy of St. Martin in the Fields, einem in Barockmusik und Wiener Klassik bewanderten Kammerorchester, auf Europa-Tournee ist. Der Abend widmete sich Ludwig van Beethoven, es wurden unter anderem die Ouvertüre zu „Die Geschöpfe des Prometheus“ op. 43, Konzert für Klavier und Orchester Nr. 1 C-Dur op. 15 und Konzert für Klavier und Orchester Nr. 3 c-moll op. 37 gespielt. Selten war ich von einem Sinfoniekonzert so begeistert.
>Konzerthaus Dortmund<
Das Konzerthaus Dortmund ist seit 2002 mitten im Brückviertel angesiedelt – dem „Döner-Dreieck“ von Dortmund. Manche würden es auch als Szeneviertel bezeichnen. Der Kontrast, der durch den direkten Clash von E- und U-Kultur und den damit verbundenen Habitus entsteht, ist einer, der mich durch und durch begeistert und bei dem ich glaube, dass er signifikant für das Ruhrgebiet ist.
Im Brückviertel war ich in den vergangenen Monaten sehr oft, habe diverse Imbisse ausprobiert und war mehrfach in der Schauburg, einem über 100 Jahre alten Programmkino.
Das Konzerthaus selbst ist Garant für Klassik, Jazz, Weltmusik und Pop. Markenzeichen ist ein geflügeltes Nashorn, das man überall in der Innenstadt von Dortmund antrifft.
Nachts sind alle Städte schön. Nur nachts möchte ich sein, durch Straßen streifen, Fahrtwind spüren und keinen Gegenverkehr. Kälte in Zuneigung verwandeln und in ein Ich, das schaut, sammelt und sich lässt. Alles mit sich machen lässt – und die Welt annimmt, wie sie ist.
Auf dem Großmarkt in Dortmund muss man die Welt annehmen, wie sie ist. Diese Welt aus Fischen und Früchten, aus Hubwagen und Kisten. Aus Männern hinter Pulten und Männern unterm Scheffel. Stilisierte Frauen werben still für Äpfel, Physalis und Bananen. Das Eigentliche findet in den Hinterzimmern statt. Geschäftiges Misstrauen in den Blicken, wer sind die, was wollen die, Großkunden sehen anders aus. Anekdoten über Händler, die sich mit Kunden streiten. Ich habe dich beim Nachbarn gesehen, zu mir musst du nicht mehr kommen. Streng reglementierte Besitzverhältnisse und ein Verständnis von Jovialität, das dem Jetzt nicht mehr entspricht. Jede Halle ist einem eigenen Regiment unterworfen, das Obst ist träge. Es wird in Kulturen unterschieden, gedacht und gehandelt – eine vertane Chance; auch Suppe ist eine Option, um fünf Uhr morgens. Gegen die Entwicklungen in der Branche fühlt sich niemand mehr gewappnet. Allein sitzt der Mann in seinem Häuschen im Containerverschlag, der für die Wertstoff-Sortieranlage genutzt wird. Er sitzt schon lange da, und wird es noch eine Weile tun. Hinter den Hallen erinnern Gleise an einst genutzte Transportwege. Verkehrsschilder hängen schief. Und dann ist da der Wendekreis.
Am Wendekreis endet die Welt, und sie beginnt. Jemand hat sein Fahrrad dort abgestellt, ein anderer Paletten. Danach geht es zurück, immer wieder. Der Gedanke daran ist das schönste Bild. 04:58 Uhr
Vielleicht muss man bald von einem Relikt sprechen, denn die (inter-)nationalen Marktstrukturen sprechen mittlerweile eine andere Sprache: Wie ein Großmarkt im wörtlichen Sinn fühlt sich der Großmarkt Dortmund nicht mehr an. In eine andere Welt taucht man trotzdem ein.
So, wie der Großmarkt heute ist, gibt es ihn seit 1951/1952 auf dem Bundesgelände am Bahnhof Dortmund Süd. 1976 gründete sich die Großmarkt Dortmund Genossenschaft, seither betreiben ansässige Unternehmen den Markt selbstständig. Der Dortmunder Großmarkt ist einer der zehn größten Märkte in Deutschland (es gibt insgesamt 25), aktuell sind 23 Händler dort tätig. Bei dem Großmarkt handelt es sich um einen Frischemarkt. Es werden Obst und Gemüse, Frischfisch, Fischwaren, verpackte Lebensmittel, Frischfleisch, Kartoffeln und Zwiebeln verkauft. Daneben gibt es eine Bananen-Reiferei, Kühlhäuser und Lager. Der Großmarkt versorgt nach eigenen Angaben in einem Radius von 200 Kilometer etwa 3 Millionen Einwohner.
Ort: Münster | Datum: Sa, 10.06. – Fr, 01.10.2017 | Wetter: Entweder es regnet, oder …
Ein Urzeittier. In Teilen. Wie ein aufgebockter Tausendfüßler harrt es im Hof. Ein Stück Saurierskelett. Gebrochenes Rückgrat. Zur Schau gestellt. Hinter Mauern und eisernen Toren, zu besichtigen, täglich von 10.00 bis 20:00 Uhr, freitags bis 22:00 Uhr. „Ich weiß, was das ist. Wie heißt das Tier nochmal?“ Trauben von Menschen stehen um das Grau herum oder sitzen auf dem Weiß. Picknicken. Pausieren. Führungen auf Deutsch, Englisch, Holländisch. Gezückte Smartphones. Ein vorübergehendes Labyrinth von abgestellten SP-Leihrädern.
Das neonrot leuchtende Logo weist den Weg auf den Vorplatz und in den Hinterhof. Von der Salzstraße oder vom Servatiikirchplatz aus durch ein Tor zu betreten. Die Skulptur im Freien. Die Verbindungsachse aber durchzieht das Portal, das Gebäude. Wer den Erbdrostenhof betreten will, läuft einen kleinen Schlenker. Die Skulptur bedeutet einen Umweg. Eine Verzögerung. Wenn auch nur minimal. Ein Guide im Regiestuhl – vor dem Gebäude, dahinter, bei Regen auch mal darin oder unter dem Balkonvorsprung des Saals. Ein Aufblicken vom gewohnten Weg.
„Eine Skulptur ist das, was im Wege steht“
Nicht Touristin, nicht Einheimische, schaue ich den Suchenden beim Suchen zu. Der tastende Blick, der sich vom Stadtplan löst, über die auf Asphalt gesprayten Logos und Pfeile streift und die Straßenzüge und Gebäude mustert. Soll man ihnen sagen, wo die Skulptur steht? Schmunzeln. Und dann wieder Stirnrunzeln. Ob des ganz selbstverständlichen Betretens ansonsten anderen vorbehaltener, abgelegener oder unbeachteter Orte. Die Skulptur und ihre AnhängerInnen als Eindringlinge im Gewohnten, Ruhigen, Vorgeformten. Ziehen die Blicke auf sich. Noch immer wirken sie fehl am Platze. Ich versuche, Orte aufzusuchen, die mir weniger vertraut sind. An denen sie nicht wie Fremdkörper im gewohnten Bild wirken.
Das Schild springt nicht ins Auge. Trotz leuchtendbunter Birnchen. Unweit des Asia-Shops wieder ein obligatorisches SP-Fahrräder-Labyrinth. Beim Betreten des Ladens zur Rechten eine Frau hinter der Theke. Ist sie Verkäuferin? Der Laden doch noch in Betrieb? In den Regalen stehen Produkte. Kitsch. Lametta, lachende Eier, Ananas-Schwimmreifen. Ohne die anderen, unsicher ein- und auftretenden Suchenden, hätte ich die Dame vielleicht gefragt, ob ich wirklich richtig bin. Ob ich einfach so eintreten darf. Nur, um mal zu gucken. Schmale Gänge. Regale bis zur Decke. Spinnweben wiegen sich im Takt des schwenkenden Standventilators. Im verdunkelten Raum zur Straße hin schaut man in die Röhre. Bis nach Mexiko.
„Kunst als Ausflug?“
Kunst im öffentlichen Raum. Skulpturen auf dem Weg zur Uni, dem Weg zur Arbeit, dem Weg zum Einkaufen. Was passiert, wenn man sie vom Sockel hebt? Macht es sie nahbarer? Oder senkt es die Hemmschwelle? An der Promenade im Schatten des Buddenturms rollen die Köpfe, kriecht fremde Farbe den Rücken hinauf. Oder die sandfarbene Museumswand, außen, neben der Treppe. „Die Schlange wurde nach Drinnen verlegt.“ Vielsprachige Schlange von Menschen. Schilder wie im Freizeitpark an der Hauptattraktion. „Ab hier noch 30 Minuten.“ Freier Fall? Loopings? Endzeitstimmung ohne Eis! Unweit des Aasees Sprünge im LED-Panel. Harsh Münster? Den Weg übers Wasser versperren des Nachts Metallzäune mit spitzen Zacken.
Was geht, was kommt wieder – nur woanders – und was bleibt? In vier oder fünf Jahren könne man erst etwas über die Wirkung der diesjährigen Skulptur Projekte sagen, so der künstlerische Leiter Kasper König in einem Interview mit Ulrike Timm für den Deutschlandfunk. Als ich nach dem Abbau der Skulpturen erneut den Weg zum Erbdrostenhof einschlage, ertappe ich mich dabei, wie ich einen kleinen Schlenker laufe. Statt den geraden Weg zu nehmen. Ich blicke auf.
In den Mulden liegen Seifenreste, fein trapiert für Staunende. Sauberkeit als sinnliches Moment, weißkachelige Emotionen – ein Ort für Menschen ohne Makel, weiche Haut und fließenden Bewegungen. Im Aufführungssaal wird Kontrast gewollt: absolute Dunkelheit, bizarre Schreie, Reenactement am fremden Leib. Eine Verausnahmung des Körpers, des Frauseins, der Witz damit und Brüste, die, schmerzhaft rotierend, Bezüge aushebeln wollen – aber so ganz gelingt es nicht; selbst darin sind die Menschen schön.
Der Weg nach draußen wird fast zur Flucht, eine Flucht aus dem ästhetisch Perfekten, aus der weißfarbigstrahlenden Reinheit. Einkacheln könnte man sich hier, der Wille ist stark, die Umgebung natürlich – aber man selbst? Schweiß, Schmutz, schwarze Gedanken. Was auf der Bühne heraufbeschworen werden wollte, wird nie wirklich ankommen in dieser Welt, nur noch namentlich bekannt als Waschkaue. Die Reinkarnation ist bereits vollzogen, egal, wie oft Canaille gerufen wird.
Wie traurig das Aufatmen nach dem Verlassen des schönsten Ortes, die unbedingte Suche nach dem alltäglichen Kontrast. Der auch eintritt, unmittelbar: In einem matt-grauen BMW vor dem Eingang sitzt ein Mann, der bei heruntergelassenem Fenster Clubmusik hört, dabei nervös mit dem Kopf wippt, während – filmisch perfekt – weitere sechs Männer um die Ecke kommen, Bauarbeiterhelme und Sicherheitswesten tragen, und an dem fein gekleideten Premierenpublikum vorbeigehen. Niemand schaut, jeder ist für sich in seiner Gruppe und doch berühren sie einander. Das ist Schönheit. 21:58 Uhr
Waschkaue
Umkleide- und Waschraum auf einer Zeche. In der Regel besteht eine Waschkaue aus zwei etwa gleich großen Räumen, der Weißkaue und der Schwarzkaue. In der Weißkaue kam die Straßenkleidung der Bergleute unter, in der Schwarzkaue die Arbeitskleidung. Entsprechend kann man sich den Sauberkeitsgrad der Körper der Bergleute (vor der Schicht, nach der Schicht) vorstellen.
Seit Anfang der 1990er Jahre wird die ehemalige Waschkaue der Zeche Zollverein als Aufführungsort für zeitgenössischen Tanz genutzt. Es ist das choreographische Zentrum NRWs, und das merkt man auch. Toller Ort, tolle Atmosphäre – und gute Stücke. Bei meinem Besuch habe ich die Uraufführung aus der Monument-Reihe von Eszter Salamon gesehen: „Monument 0.5: The Valeska Gert Monument„, eine historisch-empirische Aufarbeitung des Lebens der avantgardistischen Tänzerin und Kabarettistin Valeska Gert (1892-1978). Foto Titelbild: Ursula Kaufmann
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