Das Foto zeigt eine Kiste mit der Aufschrift Stabsarzt Dr. Rörig.

Wenn das Heilen einem Zweck dient

Kurorte sind Orte der Heilung, Genesung und Erholung. Sie präsentieren sich gerne als eine Art heile Welt, in der der Kurgast schnell und auf angenehme Weise wieder zu Kräften findet. Diese Selbstdarstellung, in der häufig das Thema Sterben völlig ausgeklammert wird, bekommt einen Riss, sobald die dunkleren Kapitel ihrer Geschichte betrachtet werden. Diese Genesungsorte waren im 19. und 20. Jahrhundert durch die kurörtliche Infrastruktur, die hohe Bettenkapazität und die gute medizinische Versorgung ideale Lazarette und militärische Hauptquartiere und profitierten entwicklungsgeschichtlich, finanziell und medizinisch von Kriegen. Die Sonderausstellung „Vergessene Gäste – Kurorte im Krieg“ zeigt in den Römerthermen in Zülpich, wie der Krieg in die heile Welt der Kur- und Badeorte Einzug hielt und wie dort versucht wurde, den Schein der heilen Kurwelt zu erhalten.

Ob man im Krieg schnell gesund werden wollte, ist fraglich. Für sich selbst schon. Aber schnell zu genesen, hieß eben auch, schnell wieder an die Front zu können. In den Kurorten herrschten für die rasche Heilung jedenfalls beste Bedingungen. Wahrscheinlich hätte sich Hippokrates im Grab umgedreht, wenn er davon hörte. „Ich werde ärztliche Verordnungen treffen zum Nutzen der Kranken nach meiner Fähigkeit und meinem Urteil, hüten aber werde ich mich davor, sie zum Schaden und in unrechter Weise anzuwenden“, heißt es in seinem Eid. Eine schnelle Genesung eines Soldaten herbeizuführen, entspricht dem Nutzen des Patienten. Wenn aber eine von den Kriegstreibern instrumentalisierte Medizin agiert, dann kommt die medizinische Ethik schnell ins Wanken und man fragt sich, ob die Heilung nun zum Nutzen oder zum Schaden des Kranken ist?

Im Krieg gelten immer andere Gesetze als in Friedenszeiten. Klar. Interessant, finde ich, ist aber der Aspekt dieses widersinnigen Heilens, der letztlich wiederum zum Schaden führt. Entweder wird der Soldat wieder verletzt oder stirbt oder tötet. Das passt nicht in die heile, vornehme und vor allem auch „todesfreie“ Zone der Kurorte. Hier stirbt man nicht. Hier wird man gesund. Hier spielt schöne Musik, um vom Grauen des Krieges abzulenken. Die Ausstellung zeigt aber, dass es in den Kurorten im Ersten und Zweiten Weltkrieg zu einem enormen Anstieg der Sterberate kommt. Die heile Welt bröckelt. Im Zweiten Weltkrieg war es strikt verboten, dieses Phänomen zu dokumentieren und zu fotografieren, da der Soldatentod zum Heldentod mythisiert worden war.

Für die Ausstellung konnten sicherlich auch aus diesem Grund aus den Kurorten wesentlich mehr persönliche Erinnerungsstücke (wie Briefe, Postkarten, Seifenstücke und Berichte) aus dem Ersten als aus dem Zweiten Weltkrieg zusammengetragen werden. Ein Rolle gespielt haben wird dabei aber auch die Fortführung der Inszenierung der heilen Welt des Badeortes. Denn aus den etwa 70 Lazaretten in den Kurorten – das Bad Aachen war ein Kurlazarett der Luftwaffe – dürften solche Erinnerungen und Überlieferungen nach dem Krieg leicht zu sammeln gewesen sein, schon allein aufgrund der vielen Zeitzeugen. Aber die Mythisierung des ruhigen und heilen Kurorts wog offenbar schwerer als die Erinnerung an die dunkleren Tage diesen Orten.

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