Das Foto zeigt eine Altstadt und zwei Menschen die Arm in Arm die Straße entlang gehen

Was interessiert die Idylle die weite Welt?

Monschau habe ich schon einmal vor ein paar Wochen besucht, muss aber zugeben, dass mich das Eifelstädtchen an diesem Tag nicht so richtig packen konnte. Darüber habe ich lang nachgedacht, weil der Ort eines der touristischen Hauptziele in der Region ist. Alle sagen immer, Monschau sei so schön. Das stimmt. Keine Frage. Ist es. Aber ich habe an diesem Tag diese Schönheit nicht sehen und fühlen können. Ich glaube, in Bezug auf Monschau greift bei mir der eigene „blinde Fleck“. Die Blindheit für Gewohntes, das man irgendwann nicht mehr als Besonderheit wahrnimmt, weil der Eindruck verblasst. Da ich in Süddeutschland aufgewachsen bin, sind Städte mit Fachwerkbauten für mich eher gewöhnlich. Monschau hat viel davon und ist architektonisch imposant und ragt auch aus seiner Umgebung heraus. Allerdings hatte ich in Monschau auch das Gefühl, mich in einer Filmkulisse zu befinden. Alles ist perfekt und schön, nur eben das, was eine Stadt ausmacht, fehlt: Das alltägliche und gewöhnliche Leben. Abgesehen von den Touristen, die durch die malerischen Gassen geschleust – oder sogar mit einer Bimmelbahn gefahren – werden, die man mit Eis, Kaffee und Souvenirs füttert, die aber irgendwann wieder im Reisebus verschwunden sind, konnte ich hier kein Stadtleben ausmachen. In den umliegenden Stadtteilen schon, das historische Altstadttal wirkte auf mich wie die Kulisse einer Idylle aus dem 18. Jahrhundert. Mich beschlich während des Gangs durch die Gassen immer dieses Gefühl, jemanden fragen zu müssen, wann die Öffnungszeit zu Ende ist, damit ich rechtzeitig das Gelände verlassen kann. Das war mein erster Eindruck von Monschau.

Für meinen zweiten Besuch hatte ich mir vorgenommen, jetzt, da ich mir meines blinden Flecks bewusst geworden war, diesen irgendwie zu überwinden. Einen Ansatz wählen, um einen anderen Blickwinkel zu bekommen. Zunächst war da die Ausstellungseröffnung mit Photographien und Zeichnungen von Jürgen Klauke und Gina Lee Felber im „KuK – Kunst und Kulturzentrum“. Beim letzten Besuch hatte ich das Atelierhaus und die vorherige Ausstellung „The Photographers“ mit Photographien von Anton Corbijn, Helmut Newton und weiteren namhaften Photographen besichtigt. Große Namen. So sehr idyllisches, im Dornröschenschlaf befindliches Feintuchweberdorf kann also nicht zutreffen, wenn sich hier Künstler von internationalem Rang die Klinke in die Hand geben. Das war mir aber nicht genug an neuem Blickwinkel, wenngleich es ein Indiz dafür war, dass sich hier noch einiges im Verborgenen abspielen muss. Ich fing an, zu recherchieren und stieß dabei auf die Initiative „Wir sind Monschau – Zukunft mit Geschichte“, die sich auf Investorensuche befindet, aber auch einige gelungene Neuansiedlungen im Ortskern verzeichnet wie etwa die Kaffee-Rösterei Wilhelm Massen, die Bleibe, die Estrade, das Bürgerhaus, die Markthalle, das Flyfishers Inn und den Salon Violino. Die Unternehmer beschreiben, wie sie anhand der vorhandenen Gebäude auf ihre Monschau-Geschäftsidee kamen und warum hier der richtige Ort ist. Gut, es tut sich was. Monschau bewegt sich und die Initiative setzt sich ein für eine zukunftsfähige Innenstadt. Das hatte ich bisher nicht gesehen, dachte, die alte Textilstadt habe im 19. Jahrhundert nicht nur den Anschluss an die Industrialisierung verschlafen, sondern lebe auch heute noch mehr vom Gestern als vom Morgen. Investoren sind immer schwer zu finden. Da hier gefühlt jedes Haus im Monschauer Rurtal eine Denkmalplakette angeheftet hat, wird die Suche dadurch nicht einfacher. Denn jeder möchte sich entfalten, vor allem aber derjenige, der viel investiert. Selbstverständlich ist es schön, sein Geschäft in denkmalgeschützten Räumen aufzuziehen, aber die Bauweise von vor über 200 Jahren entspricht selten den heutigen Anforderungen an ein Wohn- oder Geschäftshaus. Man nimmt immer an, dass diese idyllischen Orte es einfacher haben als andere, weil ihnen die Aufmerksamkeit gewiss ist, Laufkundschaft und Besucher eine Selbstverständlichkeit darstellen. Aber es gelten innerhalb einer Idylle eben auch andere Gesetze.

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