Wenn Sprache durch den Magen geht

Folge 3: AHOI 3

Das Foto zeigt Menschen auf einem Gruppenbild

Chilis, Rosinen, Zwiebeln, Pflaumenmus, Rübenkraut und Printen liegen auf dem großen Küchenklotz in der Schreinerei des Ludwigs Forums. Ein paar Kinder huschen um die Zutaten herum, nehmen sie in die Hand und schauen die heutigen Gastköche fragend an: Was soll man denn daraus machen?, steht auf ihren Gesichtern geschrieben. Christiane Vaeßen und Johannes Arens vom Zweckverband Region Aachen verteilen ein paar der Spezialitäten aus NRW. Ein paar Stückchen Printen wandern schüchtern in die Münder der Jugendlichen: „Schmeckt anders“, sagt Robin. Er ist 13, hat kurze braune Haare und baut eigentlich gerade eine Theke.

Kochen, Theke bauen, Gastköche, Printen probieren? Das alles ist möglich durch AHOI 3. AHOI 3 ist nicht irgendein Sommerferienprogramm. AHOI 3 ist ein soziales Kunstprojekt zur Integration von jugendlichen Asylsuchenden in Aachen, dass Vera und Ana Sous auf den Weg gebracht haben. Und genau deswegen wird vom 6. Juli bis zum 28. August im Ludwigs Forum auch gekocht und gewerkelt.

Dampf wabert aus einem der riesigen Kochtöpfe. „Ich denke, wir können beginnen“, sagt Arens und greift nach dem Reis. Gemüse wird geputzt und klein geschnitten. Koriander gezupft; Chilis und Rosinen püriert. Immer wieder neue Jugendliche kommen an den Küchenklotz und helfen mit. Künstlerin Vera Sous und ihre Tochter Ana Sous freuen sich über die rege Teilnahme. Sie waren es auch, die dafür gesorgt haben, dass im Ludwigs Forum eine temporäre „Küche der Kulturen” vor Anker gehen kann. Bis zu 40 Jugendliche kommen jeden Tag.

Orientiert an den Öffnungszeiten des Ludwigs Forums findet der Kochjugendtreff mittwochs bis sonntags von 13 Uhr bis 18 Uhr statt. Donnerstags gibt es noch ein besonderes Special: eine Disko bis 22 Uhr. Geflüchtete Jugendliche zwischen 10 und 18 Jahren können das Angebot wahrnehmen. Interessierte sind an den langen Donnerstagen eingeladen auch einmal vorbeizuschauen.

„Ahoi 3“ knüpft an zwei Projekte an, die Vera und Ana Sous bereits im vergangenen Jahr mit jugendlichen Geflüchteten realisierten. Für „Ahoi 2 You“ entstand in mehrwöchiger Arbeit ein Schiff. „Es ging darum zum einen eine Arche zu schaffen, gleichzeitig aber auch darum, das Thema Flucht über das Meer aufzuarbeiten“, erzählt die Künstlerin. Im Rahmen eines weiteren Projekts entstanden 14 Banner für die Vorhalle des Aachener Doms, wo sie den Weg zur „Pforte der Barmherzigkeit“ weisen. Dieses Jahr hat sie nun zusammen mit ihrer Tochter ein weiteres Projekt mit geflüchteten Jugendlichen verwirklicht. „Bei Ahoi 3 sollen sich alle durch die gemeinsame Arbeit und natürlich unabhängig von Sprache, Herkunft oder Religion näherkommen“, sagt Sibylle Keupen. Sie leitet die Bleiberger Fabrik und hat auch die Obhut für das Projekt übernommen. „Ich dachte mir: So etwas muss es unbedingt geben!“, sagt sie. Schon nach den ersten Gesprächen habe sie begonnen, Mittel beim Förderprogramm für Interkulturellen Dialog beim Land NRW zu beantragen: „Es war ein bisschen schwierig, da Kochen kein klassisches Kunstprojekt ist, aber wir hatten eine Idee“…

Sie ist beweglich und sie glitzert! Die Theke, die Robin baut, besteht aus einem ganz besonderen Material: alten Zigarrenschachteln. An der Wand dahinter hängt ein Bild mit einem Schiff und hinter dem Rücken eines Mädchens lugt ein gemalter Krakenarm hervor. „Wir bauen zusammen mit den Jugendlichen eine Hafenkneipe“, erzählt Vera Sous. Hier können sich Reisende aus aller Welt treffen, neue Gerichte und Gerüche kennenlernen, spontan-improvisierten Klängen lauschen und ihre Geschichten erzählen.

Und beim Kochen gibt es noch eine weitere Herausforderung. „Alles vegan“, sagt Ana Sous. Nicht weil das besonders hip und trendy ist, sondern weil lebensmittelrechtliche Auflagen es nur so erlauben. Dennoch schmecke es jeden Tag anders, erzählt die Kunsthistorik-Studentin. „Wir geben die Leitung jeden Tag an jemand anderen aus der Gruppe weiter“, erzählt sie. So kommen unter anderem syrische, albanische oder afghanische Gerichte auf den Tisch. Mal ist es ein Couscous-Salat mit Rosinen, mal Kochbananen mit Gemüse oder ein Eintopf. „Die Lebensmittel bekommen wir alle gespendet“, sagt Ana Sous. Marktstände und Bioläden unterstützen die Initiative und auch Gastköche kommen hinzu. So auch heute:

Das Foto zeigt einen Mann und eine Frau beim Kochen

Geschäftsführerin Vaeßen und Kulturreferent Arens vom Zweckverband Region Aachen sind heute zu Gast. Sie haben ein mexikanisches Gericht mitgebracht: Korianderreis, Mole, Ofengemüse und Salat. In die mexikanische Soße kommen viele Dinge.

Das Rezept und ein Video, das beim Kochen entstanden ist, kann man übrigens auf dem Blog von Johannes Arens finden.

Neben der Kochaktion, die beide für absolut unterstützenswürdig halten, engagiert sich der Verband auch für die Vermittlung der deutschen Sprache gegenüber Geflüchteten. Hierzu wurde ein Lernbuch entwickelt, mit dem zahlreiche Träger und Schulen bereits arbeiten. Es trägt den Namen: „Hayya! Geschichten spielen, Deutsch lernen“ und soll Kindern aus dem arabischen Raum eine erste, spielerische Begegnung mit der deutschen Sprache ermöglichen. Bei AHOI 3 wird zwar nicht im Lernbuch gearbeitet, aber beim gemeinsamen Kochen und Werkeln, lernen die Kinder Deutsch ganz nebenbei. „Man erlebt etwas zusammen – auch wenn es nur etwas Alltägliches ist wie Kochen“, sagt Ana Sous. Für sie gebe es im Moment nur das Projekt: „Es ist einfach wichtig, die Geflüchteten nicht zu vergessen, die hier sind.“

Dann ist es endlich so weit: „Essen ist fertig“, rufen die Sous‘. Hungrig schlägt die Truppe zu und macht sich über das mexikanische Buffet her. Nach dem Essen sitzen die Jugendlichen noch zusammen, erzählen sich Geschichten, spielen sich Lieder und Rhythmen aus ihrer Heimat vor, sodass man fast vergessen könnte, was diese Kinder durchgemacht haben.

Vera und Ana Sous setzen mit ihrer Küche der Kulturen ein Zeichen – nicht nur für den guten Geschmack, sondern vor allem eines der Nächstenliebe.

Mehr von Marie Ludwig