Selbst ist der Südwestfale

disclaimer: Manche Rosen sind schon Hagebutten. Es ist Halbzeit bei stadt.land.text. Zeit, für einen kleinen Zwischenstand.
Und Zeit, für eine kleine Klarstellung: Ich bin nur ich. Meine Meinung, mein Blick auf Südwestfalen ist nur ein Blick.
Um mir einen Eindruck zu machen, verallgemeinere ich ab und an – oder übertreibe. Manchmal aus literarischen Gründen, manchmal, weil ich melodramatisch bin und mich in Übertreibungen zu Hause fühle.
Südwestfalen ist zu vielseitig, als dass ich guten Gewissens über „den Südwestfalen“ reden könnte. Hagen zum Beispiel kommt mir wie ein Stück Ruhrgebiet vor, während ländlichere Teile Südwestfalens mich ans Schwabenland erinnern. Wenn ich hier von „dem Südwestfalen“ rede, meine ich wahrscheinlich jemanden, der auf dem Land lebt im Kreis Olpe, Siegen-Wittgenstein oder dem Märkischen Kreis.
Lange Rede, kurzer Sinn: Alle Angaben sind, wie immer, ohne Gewähr.

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In meiner Familie gibt es keine Unternehmer. Mein Großonkel Mahmud hat mir mal den Tipp gegeben, mich von jeder Form von Unternehmensgründung fern zu halten. So etwas scheitert bei uns anscheinend. Wir können schreiben, philosophieren, unterrichten, vielleicht Ingenieure oder Anwälte sein, Hausfrauen oder Schriftsteller, aber sobald jemand ein Unternehmen gründet, geht alles den Bach runter.
Mit dem Mittelstand ging es mir deswegen immer wie mit China. Ich glaube schon irgendwie, dass er existiert, aber war noch nie dort und habe auch nur ziemlich abstrakte Vorstellungen, worum es eigentlich geht.
Hier in Südwestfalen habe ich eine Mittelstand-Schocktherapie erlebt.
Auf dem Weg von meiner Wohnung zum Bahnhof laufe ich an Elektrikern, Dachdeckern und Friseuren vorbei, an Metzgern, Fliesenlegern und Klempnern.
Selbst(ständig) ist der Südwestfale.
Ein Journalist fragte mich kürzlich, wenn auch ein wenig geschickter, was das Ergebnis dieses Projekts sein wird. Immerhin gibt das Land ja Geld aus, das muss ja auch was bringen. Das kommt mir, mit Verlaub, wie eine südwestfälische Frage vor. L’art pour l’art ist hier keine verbreitete Haltung. Mehr so l’art pour la Attraktivität als Standortfaktor.
Also: Was „bringt“ das dieses Projekt? Im besten Fall erkunde ich Südwestfalen, lerne etwas über Land, Leute und Mentalität und halte meine Eindrücke, in literarischer Form oder weniger verschleiert, wie gerade jetzt, dann fest. Interessierte Südwestfalen, die Lust und Zeit haben, können diesen Blog lesen und finden es vielleicht interessant, einen (!) Blick von außen auf ihre Region zu erleben. Andere Menschen aus NRW, und sonst woher, können den Blog auch verfolgen und einen, meinen, Eindruck von Südwestfalen erhalten. Und auch die Eindrücke meiner Kollegen und Kolleginnen in den neun anderen Kulturregionen. Und dadurch entsteht dann ein Wimmelbild von zehn sehr unterschiedlichen Schreibenden auf die zehn sehr unterschiedlichen Kulturregionen NRWs. Mehr bringt es glaube ich nicht. Und muss es denn unbedingt mehr (ein)bringen?
Und wenn ich am Ende mehr über mich selbst als über Südwestfalen herausgefunden habe – muss ich mein Stipendium dann zurückzahlen?
Apropos Zahlen: Ich kann an einer Hand, an drei Fingern, um genau zu sein, die Menschen in meinem Leben mit eigenem Auto zählen. Die Tatsache, dass ich weder Auto noch Führerschein habe, ist vielen Südwestfalen unbegreiflich. Diese Region ist so weitläufig, dass ein Leben ohne Auto kaum funktioniert. Hier scheint es nur zwei mögliche Gründe für mein autofreies Leben zu geben: Bittere Armut oder ein radikaler alternativer Lebensentwurf.
Der Südwestfale liebt sein Auto. Vor allem, wenn es sich um einen BMW handelt.
Bei einem meiner Wanderversuche rettete mich ein Busfahrer, der mich hinter der Leitplanke in einem Gestrüpp fand. Wir unterhielten uns ein bisschen. Er fragte, ob ich Kroatin oder so bin, ich musste ihn enttäuschen. Er selbst kam aus dem Kosovo und ich freute mich, meinen eigenen Blick auf Südwestfalen mit jemand anderem, der nicht von hier kommt, zu vergleichen.
„Schön hier in Deutschland. Alle haben ein BMW und ein Haus.“ Stimmt, dachte ich.
Wenn man aus der Ferne kommt und in Südwestfalen abgesetzt wird, dann sind Kernstücke der deutschen Lebensweise ein dickes Auto und ein Eigenheim.
Schaffe, schaffe, Häusle baue – schon wieder eine Schwabenparallele. Hier wird gearbeitet. Für ein eigenes Auto, ein eigenes Haus, für die Zukunft. Es wundert mich gar nicht, dass die CDU in Südwestfalen so stark ist. „Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben.“, scheint wie geschrieben für diesen Teil von Nordrhein-Westfalen.
Die Selbst-Anpacken-Mentalität, die ich hier beobachte, spiegelt sich nicht nur in der Berufswahl wieder, sondern auch in der Freizeitgestaltung.
Hier in Südwestfalen ist mir klargeworden, wie verwöhnt ich Pottkind bin. Nicht, wenn es um Wälder und Berge geht, aber auf jeden Fall mit Blick auf das kulturelle Angebot. Von meiner Essener Wohnung aus bin ich innerhalb von Minuten bei einem der renommiertesten Museen des Landes, bei einem Kunstkino, der Philharmonie, im Ballett und in der Oper. Nie muss ich mich selber kümmern, damit mir etwas geboten wird.
In Südwestfalen ist das anders. Je ländlicher es wird, desto mehr scheinen die Menschen selbst anzupacken und zu singen, zu handwerken, zu tanzen….. Viele Menschen, die sich niemals als Künstler bezeichnen würden, sind hier doch Kulturschaffende.
Das gefällt mir.

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