Der Elefant im Hellweg

Sagen wir, angenommen, da steht ein Elefant im Raum.
Und sagen wir, dieser Raum könnte jetzt gerade meine Gegenwart sein.
Oder der Hellweg.
Geht auch.

Der Elefant steht jedenfalls da und egal ob ich blinzle oder die Brille abnehme saubermache abspüle aufsetze, davon wird der weder größer noch kleiner. Der steht da einfach. Der Elefant. Und bewegt sich nicht. Keinen einzigen Millimeter, nicht ein bisschen.
Elefanten werden ziemlich groß. Merkt man immer erst, wenn der so direkt vor einem. Elefanten werden sogar bis zu wieviel Meter, ja muss ich nachschauen, mach ich später, geht jetzt nicht, ich hab hier ein größeres Problem und außerdem habe ich überhaupt keine Lust, Elefantendaten nachzugoogeln und noch weniger Lust, so zu tun, als wäre der da nicht. Das ist zu albern und außerdem bin ich ziemlich verängstigt, so mit Elefant in Raum. Noch dazu alleine. Eine falsche Entscheidung, zack, zerquetscht. Kennt man. Und Elefanten sind rachsüchtig, über Jahrzehnte hinweg tragen die einem so etwas nach.

Besser nett gucken, falsches Lächeln üben und erstmal sitzen bleiben.
Bewegungen generell sind vermutlich gar nicht gut.
Eigentlich müsste ich aber mal raus hier.
Geht aber nicht. Wegen Elefant und so.

Ich kann so überhaupt nicht spazieren gehen, obwohl das doch der Plan war und auch auf meiner Postkarte steht und das Wetter eigentlich ideal ist. Aber ich kann nicht spazieren gehen, weil sich der Elefant ziemlich direkt vor die Haustüre meiner Residenz gesetzt hat und mich nicht mehr heraus lässt und selbst wenn ich da draußen sein würde, wäre der auch schon überall. Sich in diesen engen Gassen oder Cafés oder Regionalzügen in sicheren Abstand zu Elefanten zu positionieren, quasi Ding der Unmöglichkeit.

Die einzigen Orte, an denen sich Elefanten und Spaziergängerinnen noch aus dem Weg gehen könnten, sind die uniformen Weiten der Einsamkeit, an denen der Hellweg so aussieht, wie überall auf der Welt: Die Nicht-Orte, die zu Nicht-Elefantenorten werden könnten, ach ihr Supermarktparkplätze, Grünstreifen und Autobahnraststätten, ihr leeren Schulhöfe und Tartanbahnen, ihr windverwehten, toten Auen der Flächenversiegelung. Naja. Als ob ich mich an Nicht-Orten aufhalten könnte, ohne sofort in eine fette, graue Depression hineinzustolpern, die an Größe und Kollisionspotential dem Elefanten in nichts nachsteht. Also wirklich jetzt.

Ich kann doch so gar nichts vom Hellweg sehen, da steht ein Elefant davor. Mit uns beiden, dem Ding hier und mir gleichzeitig ist auch kein Platz zum Schreiben, es ist nicht mal Platz zum Atmen oder Durchschlafen oder Nachdenken oder für sowas wie Hobbies. Der Elefant verändert eine ganze Menge.

Alles ist gerade sehr anders, wusstet ihr das schon?

Vor drei Wochen war meine größte Angst so vom künstlerischen Dings her, dass ich das Frühjahr über in kreativer Isolation sitze und versehentlich nur Netflix schaue. Zumindest diese Angst ist definitiv weg, erstens Internet überlastet, zweitens kommt einer die Fiktion in Zeiten des Realitätsverlustes vollkommen albern vor.

Ich kann keine Filme mehr schauen und keine Serien, weil es da nur so von Fehlern wimmelt, ich bitte euch, ihr Geschichtenschreiber, ihr Wirklichkeitsverdreherinnen, ihr Vollidioten – Menschen die sich verabreden? Öffentliche Verkehrsmittel benutzen? Über eine Straße gehen zu zweit? Protagonistinnen, die Türklinken mit Händen statt mit Ellenbogen öffnen, um dann auf Konzerten beieinander zu sitzen, die in Bars betrunken werden mit Bier, das nicht aus Flaschen kommt, um später peinlich zu tanzen und sich dann noch später im Dunkel der Nacht anzulecken, was soll das denn bitte? Was soll all das, woher kommen die denn, diese komischen Narrative über die Distanzlosigkeit von Körpern, ohne dass diese Menschen verwandt wären oder das auf polizeiliche Kontrolle hin auch nur ansatzweise beweisen könnten.
Das hat doch nichts mit mir zu tun.
Das ist nicht meine Geschichte. Das ist nicht meine Gegenwart. Und auch nicht die vom Hellweg.

Oder doch, vielleicht, ich weiß nicht, da war was.
Jetzt sitze ich hier schon mit einem Elefanten zusammen und kann mich an nichts mehr erinnern.
Meine Güte.
Wie lange ist das jetzt schon?

Das muss so etwa, also so damals gewesen sein, in der Zeit in der ich und meine Wanderbegleitungen noch Arbeit hatten, Jobs und Projekte und Projektvorhaben und Projektziele und Projekttreffen, und Zeitpläne hatten wir auch, und Urlaubsreisen, Zugtickets, Bürgerrechte und Erkältungen, all sowas.
Humor hatte ich auch noch, bis so etwa vor einer Woche, jetzt musste der leider weg, hab ihn gestern Nachmittag noch kurz gesehen und dann zusammen mit den Astern und dem Restholz und meinen ersten Hellwegnotizen im Sonnenuntergang im Feuer im Garten verbrannt. Frühjahrsbeginn.

Regionschreiberin im Garten beim Verbrennen voriger Versuche.

Regionenschreiberin im Garten (ohne Elefant). Bild: Lilianna Kane

Alles verbrannt oder einfach nur schal geworden wie altes Brot. All diese grundbescheuerten Notizen, Skizzen über die Peinlichkeit von Begrüßungen in Zeiten der Krise, über Bratwurst Slash Pommes oder den geheimen Zusammenhang von Leeren in westfälischen Dehnungs-Eees mit Fußgängerzonen allgemein oder der Woolworthfiliale am Samstagmorgen.
Heute sind alle Leeren nur noch Elefantenplatzhalter.
Sich in Bad Salzdingsda, nein, Sassendorf, in ein Café zu setzen, getarnt als verloren gegangenes Enkelkind und Beobachterin vierter Ordnung, um Gesprächen diabetischer Damen am Nachbartisch zu lauschen und herrlich amüsiert ihre Rollatorenballets zu bewundern, das ist jetzt mit Elefant gar nichts mehr und vor allem nicht elegant oder angemessen oder lustig.

Es ist nur groß und grau und traurig.

Ich bin in der Lage, über Tote schlecht schreiben, aber nicht über Verdammte. Ich hab die Hölle gesehen, Baby und ich sage dir, Limbo mach ich nicht. Lasst die ohne Hoffnung bitte in Ruhe und mich auch und mach einer jetzt bitte diesen Elefanten da weg. Ich mag nicht, nein, pardon, ich kann nicht mehr. Ich verweigere jetzt. Ich brauche den Job auch gar nicht, oder doch, ach ja, stimmt, andere gibt es ja nicht mehr. Ich bitte um eine kurze ökonomische Bedenkzeit.

Hmm. Lass mal sehen.
Wie schlimm?
OK.
Doch so schlimm.

Ja, hab ich verstanden. Dann schreibe ich halt doch, aber ich schreibe nicht über den Hellweg, sondern nur noch über Elefanten und zwar solange bis der sich auflöst und keine Spuren hinterlässt oder wir uns aneinander gewöhnt haben. Vielleicht finde ich in der Küchenschublade meiner Gästewohnung noch Erdnüsse, mit denen ich den Elefanten dressieren kann, bis der aus meiner Aussicht geht. Oder ich gebe ihm einen Namen, Manfred vielleicht, und ich bringe ihm lustige Tricks bei, die uns beiden den Lebensunterhalt verdienen. Bis ich ihn dann eines Tages einfach nur freundlich nach draußen führe, hinaus, mein Freund, ins Offene.
Oder einfach nur zurück nach Hamm.
Geht auch.

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