My loneliness 2/ Kriemhild plant

So vor etwa tausend Jahren gab es hier das erste Gartenfest. Schon nach kurzer Zeit erfreute sich die Veranstaltung so großer Beliebtheit, dass ein Vorverkauf eingeführt wurde, den es bis heute gibt. Zum Konzept gehört es unbedingt, die Besucher mit einzubeziehen. So gibt es die Möglichkeit, vorab Musikwünsche per Mail (niflungenende@freenet.de) zu senden. Außerdem gibt es eine interaktive Gruppe bei Facebook unter dem Namen „Niflungenende@Friends“. Das Motto der DJ’s lautet: „Wir feiern eine Party- feiert mit uns!“, auf der Tanzfläche im Saal versuchen die DJ’s die verschiedenen Musikgeschmäcker zu treffen: Zudem ist es im Umkreis einzigartig, dass eine Frau am Mischpult steht und ihr eigenes musikalisches Flair einbringt. Um sicherzustellen, dass man als Gast Zutritt findet, empfiehlt es sich, den Vorverkauf zu nutzen, denn auch heutzutage ist die Party oft ausverkauft. Hierzu stehen die Verkaufsstellen des HellwegTicket Systems (hellwegticket.de) zur Verfügung.
Irgendwo muss man ja anfangen. Kriemhild ist langsam mit den Lockerungen auf den Geschmack gekommen. Zu den Dingen, die generell nicht in den digitalen Raum übertragbar sind, gehören a) ein Gruppengespräch führen, b) sich anfassen und c) seine Restfamilie niedermetzeln. Wie soll das gehen. Pixel brechen nicht so leicht wie Knochen. Kriemhild hat in die Echoräume leerer Videkonferenzräume hinein gerufen, bis etwas herausgeschallt ist, eine Dringlichkeit zum Beispiel und jetzt bereitet sie sich vor. Kriemhild mailt die Zugverbindungen an die Mörder, pardon, die Verwandschaft: liebe familie, zusteig worms hbf, umsteigen in mainz, frankfurt, köln und natürlich hamm, ist ein bisschen umständlich, aber dafür gibt es auf die verbindung noch den gruppensparpreis oben drauf, rückfahrt würde ich erst mal offen lassen und um abendgarderobe wird gebeten. xxxk Das steht in der Email, aber eigentlich schreibt sie natürlich eher: liebe familie, ich habe feuer in die welt geworfen, und siehe, ich bewahre es, bis es lodert. diese welt wird ausgelöscht, die stadt wird vergehen, und der himmel oberhalb von ihr wird vergehen. und die toten leben nicht, und die lebenden werden nicht sterben. sie kommen immer, immer, immer wieder zurück und um abendgarderobe wird gebeten. xxxk Kriemhild macht sich ein paar Gedanken über festliche und angemessene Kleidung, generell empfiehlt sich in unruhiger Zeit eine Übergangsjacke mehr als ein verwegen geblümtes Partykleid. Oder doch lieber die alte Rüstung? Als sie das letzte Mal nachgeschaut hat auf Spiegelonline, befand man sich doch wieder mal im Krieg. Doch ab wann ist eine Fehde schon wieder was anderes? Und welcher Krieg war das noch mal heute, der von den Geschlechtern, der der Dreißigjährigen oder doch der Dreißigjährige, was ist eigentlich diese Partyszene, die viel zu wenig Schaufenster einwirft, ist meine Schlacht eine gegen den Atem fremder Menschen, die für ein Land, das noch nie so war wie in den Büchern oder ist das hier der Krieg der alten müden weißen Körper gegen ihre Verblendung, ist das der Krieg vom Wald oder vom Wasser, der in der Zeitung keinen Platz hat, weil uns doch die Worte lange schon abhanden kamen, oder etwa nicht, „die machen nur noch in Zahlen da draußen, alles Krieg da überall“, hat die Frau mit den Gummihandschuhen vor ihr in der Schlange im Bioladen erzählt, die den Kampf um die Meinungsfreiheit mit Rhabarberstangen führt, zu 7,99 das Kilo. liebe familie, die partyspiele nach dem essen müssen leider entfallen, hygiene und so. keine orangen werden zwischen zwangsalkoholisierten körpern hin-und herbalanciert, motto: kein limbo im limbo. xxxk Kriemhild denkt, ne, lieber ohne Motto. Kein Limbo im Limbo klingt zu sehr nach Diskurspop und dann kommt der Gunter wieder nicht, aber sie denkt noch eine Weile darüber nach, dass „dance like nobody is watching“ plötzlich nicht mehr nur der lebensbejahende Imperativ auf den Frühstücksbrettchen und Wandtattoos in den wiedereröffneten Schreibwarenläden ist, sondern Arbeitstitel ihrer Feier, der nächsten Treffen, ihrer Zukunft und gleichzeitig präzise Beschreibung all ihrer Nächte im April, Mai, Juni. Außerdem hat Kriemhild keine Orangen mehr bekommen, weder für den Tanz noch für die Cocktails und auch sonst überhaupt kein Obst. Im Stolper-Supermarkt, halb hyperventilierend unter ihrer schlecht sitzenden Maske läuft sie gegen einen Turm preisreduzierter holländischer Blaubeeren, der in sich zusammen stürzt. Sie verlässt den Ort des Geschehens so schnell sie kann. Vielleicht war die Kollision aber auch nur ihrer Eifersucht diesen reisenden Beeren gegenüber geschuldet. Verdammtes Obst. Obst, das Grenzen überschreiten darf. Obst, das die Welt und das Meer und Häfen sieht. Obst, das vermutlich von mehr Händen berührt wurde als sie in diesem Frühjahr. liebe familie, besser kein motto. come as you are. ***k Kriemhild plant das Abendessen wie einen Feldzug, gegen die, die ihr alles genommen haben. Die Fleischlieferungen aus Coesfeld, Moers und Gütersloh sollten rechtzeitig eintreffen, angerichtet an Salaten aus Hainbuchenblättern, Stieleichenmus, mit Maiglöckchen zum Sattessen. Bullenauge, Pumpernickel, Möppkenbrot. Alles da. Salz zum Würzen, Salz zum Einlegen, Salz um ungewollte Ehemänner langsam um die Ecke zu bringen, Salz um es in Wunden zu streuen, Salz um die zu erwartenden Kadaver zu konservieren. Die Maikäfer, die sie vorigen Monat von ihrem Socken, aus ihrem Schoß gepflückt hat, vielleicht kandiert als Nachtisch. Mit Löwenzahnsirup aus den letzten Apriltagen. Hauptsache irgendwas hält vorerst noch Leib und Seele zusammen, als ob die beiden nicht eigentlich voneinander getrennt gehören, wie die Spreu vom Weizen, der Verstand von der Kränkung, wie Züge am Bahnhof von Hamm.
adults appear at the end of April or in May and live for about five to seven weeks
Kriemhild googelt sich eine Liste zusammen mit Gesprächsthemen, die noch schlechter verdaulich sind als das Essen auf dem eingedeckten Tisch. Hexen- und Tierprozesse findet sie immer noch extrem unterhaltsam. Aber wer hat heute noch was gegen Frauen oder hängt Maikäfer auf, wegen Feld- und Hausflurschäden. Wer verurteilt den Maulwurf dazu bei lebendigem Leibe begraben zu sein, weil er einer Vergewaltigung beigewohnt hat, die blinde Sau mit den viel zu schwachen Ärmchen. Warum eigentlich nicht. Und warum nicht auch Häuser, Straßen, Städte bestrafen, für all das, was sie mit angesehen haben, Kasernen, Bahnhöfe, Lidlparkplätze, Schottergärten, Zonenrandbesiedlungen. Irgendwo muss man ja anfangen. Kriemhild ist mittlerweile von der ganzen Planung so porös geworden wie die Vorstädte, in denen sich Hitze zwischen den Hausständen staut. Nie war sie mehr bei sich und weniger zu Hause als an all den Orten, an denen sie hinter Gardinen betrachtet im Vorübergehen ist, alle Wurzeln längst gekappt und gekärchert und mit Kieseln aufgefüllt. Nie hatte sie mehr hellsichtige Klarheit als im Schienenersatzverkehr, auf Kopfsteinpflaster auf Sauerstoffentzug. „Jetzt sehen wir selbst schon aus wie syphiltische Frühromantiker mit unserem absichtslosen Lidschatten aus drei Nächten ohne Schlaf und waren doch mal die, die nach den Sternen segeln wollten. Aber wer nach einmal sieben oder zweimal dreizehn Jahren immer noch am Hafen steht und auf ein Schiff wartet und ein Zeichen, nur ein einziges, bitte, der muss sich eingestehen dass die Reisebegleitung nicht mehr kommen wird und nur noch neue Katastrophen angespült werden.“ Es kommt keiner mehr. Alle weg. Verschwunden. Der einzige, der auch in dieser Nacht wieder vorbei schaut, ist Siegfried, der Schatten ihrer ersten schlecht getimten großen Liebe, der sie besuchen kommt, um sich und sie daran zu erinnern, dass Schwäche ihre Zierde ist und nicht der Kruppstahl ihrer deutschen Schwermetall-DNA, die auf den Flüssen nicht sinken kann. Der sie daran erinnert, dass es die rostigen Stellen ihrer Rüstung sind, die aus anderthalb bis zwei Metern Abstand ein bisschen wie Bronze aussehen. Dass all die Löcher. Lücken und schartigen Ränder ihrer undurchdringlichen Verteidigungswand dringend benötigt werden, damit ein Wind gehen kann über den daumenbreiten Raum zwischen Haut und Metall, zur Abkühlung vielleicht und um zur Abwechslung auch mal was zu fühlen. „Huch“, denkt Kriemhild und „wie ist denn dieser Knabe so unerwartet in meinen Schoß gefallen“ und „Come in she said I give you a shelter from the storm“ flüstert sie Siegfried ins Ohr, so wie früher, als sie mit ihm in einem anderen Garten lange vor dieser Zeit über den Mulch torkelte. Kriemhild ist sich dann beim Aufwachen nicht sicher, ob das wirklich Siegfried war oder doch der Elefant oder doch eher ein Vogel, ein Greif, ein Spatz, eine Schwalbe, wer kann schon wissen, was das war, was da während der Nacht unter ihrem Rippenbogen seine Heimat gefunden und ihn ausgeweitet hat, das wächst ja noch, das Ding, hat keine erkennbare Form, nur Ränder, Ecken, Kanten, weil das immer die ersten sind, die an die Oberfläche schießen im Gewächshaus ihrer Traurigkeit. Kriemhild macht das Bett und versucht, Siegfrieds Geruch in den Laken zu finden, diese Spur aus abgelagertem Testosteron, aus Oregano und schlechtem Gewissen. Sie findet nichts. Kriemhild kocht sich einen Kaffee und hört dabei im Radio einer 92jährigen WDR5-Hörerin zu, die für das Leben mit Risiko anstatt Sterben mit Einsamkeit plädiert. „Auch gut“, denkt sie und geht noch mal die Checkliste durch: Location aussuchen und ggf. buchen Gästeliste erstellen und Einladungen verschicken Datum und Uhrzeit festlegen Budget kalkulieren Eventuell Motto für die Party auswählen Partyspiele / Unterhaltungsprogramm überlegen Essen planen und vorbereiten Playlist erstellen bzw. Band oder DJ aussuchen Dekorieren „Playlist kann ich morgen auch noch machen“, denkt sie. Weil Kriemhild ist immer noch eine Sternschnuppe, die nicht verglüht. Die sich mit drei anstatt zwei Fingern bekreuzigt. „Werdet Vorübergehende“, sagt sie laut und dann bestellt sie eine Luftballonpumpe im Internet. Irgendwo muss man ja anfangen.

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