Zwei: Totholzhaufen

In den Wald, immer tiefer, irgendwo bin ich falsch abgebogen und zu stur, um umzukehren, es wird schon gehen, irgendwie. Anfangs noch eine ganze Reihe von Symbolen und Kennziffern für verschiedene Wanderrouten, A20, A21, AW, Historischer Agrarwanderweg, Droste-Hülshoff-Rundweg, jetzt aber nichts mehr, die Bäume ohne Hinweisschild, ohne Pfeil und Entfernungsangabe, ohne Logo des Regionalmarketings, manchmal liegen umgeknickte Buchen und Eichen auf dem Trampelpfad, manchmal versinkt der Weg in Schlamm. Irgendwann breche ich durchs Unterholz, stehe am Rand einer Weide, dahinter geduckte Hügelketten, davor ein Holzverschlag mit Wellblechdach. Links eine kleine, verlassene Ansammlung von Fichten oder Tannen. Dann, in einiger Entfernung, wieder Wald, aber nicht sehr dicht, blaues Licht schimmert zwischen den Stämmen hindurch. Darüber Windräder in unregelmäßigem Abstand, aber immer weit genug, um sich nicht in die Quere zu kommen.

Ich folge der Baumgrenze, in den Wipfeln lärmen Vögel, als ich näherkomme, verstummen sie, schweigend fliegen sie auf, wechseln den Baum, dann geht es wieder los. Später das Gleiche noch einmal. Als hätten sie Interna zu besprechen.

In der Ferne ein Windrad mit doppelter Rotorzahl, ich staune, dann erkenne ich, es sind zwei, das eine vor dem anderen, wie eine Tanzchoreographie.

Einmal bleibe ich stehen, blicke zurück, sehe mir das Dorf an, wie es daliegt, eingefasst von braun und grün, über den Dächern eine niedrige Wolkendecke, ich beobachte, wie sie absinkt, sich zu Boden reckt, sich ergießt. Abseits hellt es auf.

Jetzt regnet es auch bei mir, sobald ich den Schirm aufspanne, hört es auf, ich packe ihn weg, dann fängt es wieder an.

Der Wald steht locker, manchmal hat er breite Schneisen davongetragen, mir fällt der Geruch von brennendem Kaminholz ein, der mir in die Nase stieg, als ich in Bellersen aus dem Bus getreten war. Anderswo schließt es sich schon wieder, struppiges Geäst, störrisch und bräunlich steht es da, von Moos unterfüttert, undurchdringlich auch für den, der eine Axt mitbrächte. Es wehrt sich.

Man sieht so viel. Es ist ein Problem. Weil ich immerzu stehen bleiben muss und tippen muss, dass mir die Finger frieren, ich sollte gehen, später schreiben, aber dem Kurzzeitgedächtnis ist nicht zu trauen.

Mitten im Gestrüpp: Schneeglöckchen. Sie lassen den Kopf hängen, schwächlich blicken sie zum Moos. Ich kann es ihnen nachfühlen, es ist kalt und feucht. Und hinter ihnen, tiefer noch, kleine Kolonien zwischen schmalen, blattlosen Bäumen.

Immer wieder Wege, die unscheinbar ins Abseits führen, sie locken mich, aber ich gehe weiter, will nicht verschwinden zwischen Totholzhaufen und Gesträuch.

Abseits eine Amsel. Sie warnt. Vor mir.

Irgendwo eine Motorsäge. Anderswo ein Specht. Alles arbeitet hier. Auch das Moos. Es klettert die Stämme hinauf, störrisch.

Seit Stunden kein Mensch, niemand, nirgends.

Überall Hochsitze, mir fällt auf, ich trage eine braune Jacke, gehe querfeldein, jetzt werde ich nervös. Ich mache auslandende Schritte, schlenkere mit den Armen, als könnte ich auf diese Weise weniger mit einem Hirsch verwechselt werden.

Plötzlich eine Lichtung abseits des Weges, ich trete ins Offene, in die Sonne, wo es warm ist, Baumstüpfe, weißlich emporquellende Pilze, das Gras kniehoch, dazwischen ein schmaler Pfad. Dann fällt die Wiese ab, ein Hang, irgendwo fliegt ein Greifvogel auf, ich störe schon wieder. Unsichtbar, aber hörbar, die Landstraße Richtung Bellersen. Wie komme ich dorthin? Ich gehe weiter, pötzlich das Logo des Historischen Agrarwanderwegs, dann eine Schautafel mit einer Karte der umliegenden Ländereien, unterteilt nach Eigentümern: Freiherr von der Borch, Graf von der Asseburg, Stadt Marienmünster, Stadt Brakel, Freiherr von Haxthausen, ich glaube, das ist Verwandtschaft von Droste-Hülshoff.

Den Hang hinunter, über die Landstraße, über den Bach, der Brucht heißt, jetzt dämmert es. Rechts eine matschige Piste, sie führt zurück in den Wald, ich würde gerne, aber bald ist es Nacht. Einmal ein Hochlandrind, grimmig guckt es über den Zaun, Augen verborgen unter brauner Zottelmähne. Dann eine Kläranlage. Dann das Ortsschild.

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