Drei: Bellersen

Den ersten Menschen, den ich sehe, sehe ich von hinten. Gebückt steht er da, macht sich an einem Gartenhaus zu schaffen, die graue Hose spannt über dem Gesäß, schrubbend, scheuernde Geräusche, kurz überlege ich, ob ich grüßen soll, aber ich fürchte, er könnte sich erschrecken, also gehe ich vorbei.

Noch ein Mensch, wieder sehe ich nur den gekrümmten Rücken, einen Hinterkopf, Gesäß und Beine, Gartenschuhe. Eine Frau, sie jätet Unkraut im Garten. Dann, am Haus gegenüber, ein Mensch von der Seite, er macht sich an der Regentonne zu schaffen, trägt einen langen Stab, an dessen Ende eine Vorrichtung sitzt, die ich nicht ganz einordnen kann, ein Werkzeug jedenfalls. Von anderswo ein Fernseher, dumpf, hinter blickdichten Gardinen.

Plötzlich ein Jogger, ich grüße, er nicht.

Dann zwei Frauen, sie bleiben stehen, sehen mich an, ich blicke vom Handy auf, nur kurz, bald darauf notiere ich in die Notizen-App: Dann zwei Frauen, sie bleiben stehen, verstummen, sehen mich an, ich blicke vom Handy auf. Beide in Daunenjacke, die eine moosgrün, die andere blau. Beide tragen Halstücher, hell grundiert, blass bemustert. Beide mit Kurzhaarfrisur und Sonnenbrille. Die Gestelle ausladend, die Gläser undurchsichtig. Sie biegen um die Ecke, ich höre ihre Stimmen wieder. Ausgelassen, fast fröhlich.

Ein Wandgemälde mit Hirsch, im Hals des prächtigen Tieres sitzt ein Belüftungsschacht. Ich schaue durchs Fenster, das daneben liegt, erkenne eine Einbauküche, eine Dunstabzugshaube. In den Gärten stehen Bäume, in den Bäumen sitzen Vögel, pfeifen, quietschen, lärmen regelrecht. Ich bin es nicht gewohnt, höchstens ein paar Spatzen und Tauben, die sich um herabgefallene Pommes Frites streiten, oder grellgrüne Halsbandsittiche, die scharenweise durch den Park ziehen, manchmal halsbrecherisch tief, dass Läuferinnen den Kopf einziehen, Radfahrer bremsen müssen. Hier aber nichts dergleichen.

Hinter einer Mülltonne ein Huhn. Dann noch eins. Und noch eins. Behutsam setzen sie ihre Krallen in den Rasen. Als bedächten sie jeden Schritt einzeln. Begucken sich das Gras. Die Erde. Oder das Gewürm dazwischen. Herab fährt ihr Schnabel.

Ein Mädchen, sie trägt einen Jute-Beutel, darauf „I  <3  Höxter“.

Ich gehe eine schmale Straße hinauf, entdecke einen Briefkasten in Eulenform, aus Bronze geschlagen. Kurz darauf ein Scheunentor mit Basketballkorb. Kurz darauf ein zweites Wandgemälde, diesmal ein Holztransport mit Leiterwagen, vorneweg ein Pferd, obenauf ein Mann mit Peitsche. Ich fotografiere, damit ich eine Gedankenstütze habe, wenn ich meine Notizen später ins Reine schreibe.

Mitten im historischen Ortskern, zwischen prächtigem Fachwerk und gedrungenen Scheunen, ein modernes Wohnhaus, bodentiefe Fenster, oben steht ein Kind, es winkt. Ich freue mich, freue mich wirklich, winke zurück. Dann gehe ich weiter. Plötzlich öffnet sich unten die Haustür, ein Mann steht in der Tür, er ruft mich beim Namen. Kurz darauf sitze ich am Küchentisch, er reicht mir ein Glas Wasser.

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