Unerwartete Schönheit

Die Nachricht über einen neuen Krieg in Europa ist wie ein Steinschlag, während der alte Krieg im Nahen Osten ungehindert weiterwütet.

„Flüchtende, die nach Süden ziehen, stehen bei der vereinigten Welt niedriger im Kurs als die, die sich nach Norden wenden. Söldner aus dem Westen sind zunächst weniger gefährlich als die aus orientalischen Ländern. Heimlich über die Grenzen eingesickerte Kämpfer sind blutrünstiger als die, die mit Flugzeugen kommen. Beide jedoch lassen den Dollarkurs steigen und erschöpfen den Gemüsemarkt.

Ü: Christine Battermann, 2017) https://weiterschreiben.jetzt/texte/rabab-haidar-kriegsbericht/

Verschmutzte Ozeane, ölverschmierte Möwen und an Sixpack-Ringen aus Plastik erstickende Schildkröten sind die einfachste Darstellung menschengemachter Katastrophen auf diesem Planeten – der Wechsel von Plastiktüten zu Tüten aus Papier scheint wenig zu bringen –, unsere bewusste Entscheidung für Avocado-Dressings als natürliche, vegane Alternative hat zu einem Avocado-Kartell geführt, wo parallel zu den Drogen-Kartellen in Mexiko Geld in falschen KreiVerschmutzte Ozeane, ölverschmierte Möwen und an Sixpack-Ringen aus Plastik erstickende Schildkröten sind die einfachste Darstellung menschengemachter Katastrophen auf diesem Planeten – der Wechsel von Plastiktüten zu Tüten aus Papier scheint wenig zu bringen –, unsere bewusste Entscheidung für Avocado-Dressings als natürliche, vegane Alternative hat zu einem Avocado-Kartell geführt, wo parallel zu den Drogen-Kartellen in Mexiko Geld in falschen Kreisen zirkuliert.

Heutzutage ergeben Verschwörungstheorien mehr Sinn als Artikel mit politischen Analysen in findigen Zeitungen und Wirtschaftsmagazinen. Dass Aliens über die NASA Kontakt

aufnehmen wollen, klingt nach einer vielversprechenden Nachricht, während die Theorie einer Weltherrschaft „dominanter, böser reptilischer Blutlinien“ eine Art ist, Korruption zu sehen.

„Komm“, sagt ein Freund einladend, „das ist eine berühmte, alte Bar, die im Laufe der Zeit schon so einiges gesehen hat. Da gehen viele Künstler hin. Komm! Es ist schön da.“

Ich packe die Schwermut in eine kleine Tasche, doch sie rempelt mich weiterhin an, während ich versuche, in der eleganten und gemütlichen Bar eine Unterhaltung zu führen.

Unna“, schlägt mein Freund vor, „das ist ein nettes Städtchen für einen Ausflug.“

Der Kellner lauscht unserer Unterhaltung mit halbem Ohr und stimmt zu.

Also fahre ich nach Unna.

Bei der Kirche, die sich in der westdeutschen Stadt natürlich mitten auf dem Hauptplatz breitmacht – oder hat sich eher der Rest der Stadt um die Kirche herum versammelt? –, beginnt die Hauptstraße von Unna, wo alte Häuser stolz die vergangene Zeit zeigen, während sie weiterbestehen, bescheidene, schöne, lebendige, braun-weiße Fachwerkhäuser.

Hinter einer Ecke verbirgt sich ein Garten, wie direkt auf einen etwas erhöhten Gehsteig gepflanzt, zu dem man über drei Stufen gelangt, mit bunten Stühlen und interessanten Tischen unter großen Bäumen, in denen Windspiele hängen, zarte und präzise, glasartige Melodien; „probier mal“, sagen die Glocken, also gehe ich die drei Stufen hinauf, ein altbekannter Trick der menschengemachten, aerodynamischen kinetischen Kunst!

Zwischen den Stühlen steht ein knallrosa Tisch mit einer alten Schreibmaschine und einem handgeschriebenen Schild neben einer Vogeltränke, an einer Mauer dahinter hängen alte Kompasse, recycelte Kunst, ein paar alte Vasen mit spielerischen, beinahe kindlichen Mustern, ein oranger Krug mit weit aufgerissenen Augen bemalt, er starrt uns an und wir starren zurück. Wer hat behauptet, Kunst sollte ungefährlich sein?

Die Zeit steht still und das kinetische Element tut, was es am besten kann: täuscht Bewegung vor und manipuliert Raum und Zeit – besondere Merkmale der kinetischen Kunst. „Wie schön!“, sagen wir ehrfürchtig.

Beim Verlassen des wundersamen Kleiderschranks/Gartens fehlt ein Schild,

um uns zu sagen, ob der Weg nach links oder rechts weitergeht, ein kleiner Durchgang zwischen zwei Gebäuden führt aber in einen kleinen Hintergarten oder vielleicht auch eine Hintergasse.

Die Hintergasse ist eine alte Hauptstraße mit Häusern aus Holz und Lehm, leise klingt Jazz aus einer offenen Tür, fordert uns auf einzutreten, so wie der Garten uns vorhin mit Farben und Glockenklängen eingeladen hat, heißen uns der Jazz und die offene Tür jetzt willkommen. Drinnen wird die Musik deutlicher, in einem kleinen Eingangsbereich hängen ein paar Bilder ohne Rahmen und eine Treppe mit rotem Handlauf führt zu einem Dachboden.

Oben auf der Treppe stehen Alice-im-Wunderland-Taschenuhren gefangen in einer klaren Flüssigkeit in Einmachgläsern auf einem langen Holzregal. Daneben befindet sich eine riesige Glühbirne befüllt mit einer dunkelblauen, meerartigen Flüssigkeit, auf die zwei winzige Taucher versuchen hinaufzuklettern.

Das befriedigende Gefühl, wenn man bereitwillig aus der Realität gerissen wird. „Wie schön“, sagen wir staunend.

Gegenüber von dem Glühbirnen-Meer steht ein Mini-Fahrrad mit einem Mini-Radler, der auf einer hölzernen Wolke schwebt, hinter uns an der Wand hängt ein Bild von einer Metallspirale, vor uns tickt eine Uhr und bewegt darin gefangene Mini-Leute, die immer wieder dieselbe Geste wiederholen.

Man fühlt die Botschaft, bevor man sie versteht. Kinetische Illusion, Ästhetik der Zeit!

Wer hat gesagt, kinetische Kunst wäre unschuldig? Es ist

das Recyceln von Materialien und Produkten, nachdem Menschen und Zeit sie konsumiert haben, es ist die Wiederbelebung des Konsumierten, wer hat gesagt, Wiederbelebung wäre ein geschmeidiger Vorgang?

„Guten Tag, hallo, guten Tag.“ Drei markante Stimmen erklingen aus dem nächsten Raum zu unserer Rechten, also folgen wir ihnen, denn in dem Moment sind sie die einzige Gewissheit.

Eine Frau mit dunklen Haaren, ein Mann mit runder Brille, und ein Kunde aus der Nachbarschaft, der schon bald stolzer Besitzer des Glühbirnen-Meeres werden sollte. Der Laden gehört den Künstlern Frauke und Dietmar Nowodworski, die auch den Kleiderschrank/Garten am Gehsteig kreiert haben, von dem wir gerade kommen.

Aber das durften wir nicht!“, sagt Frauke, „Oh nein, es war ja ein öffentlicher Raum, wir hätten eine Sondererlaubnis des Rathauses gebraucht, aber das wussten wir nicht, wir haben die Ecke aufgeräumt, die leeren Alkoholflaschen entsorgt und die gebrauchten Spritzen, den Müll, den Dreck. Wir hatten schon ein paar Blumen gepflanzt und die Kunstwerke aufgestellt, als sie uns mitgeteilt haben, dass es streng genommen verboten ist, aber sie fanden eigentlich gut, was wir gemacht haben, nur eine Treppe hat noch gefehlt, denn wenn jemand hingefallen wäre, hätte man es auf das Rathaus zurückgeführt! Also haben sie die drei Stufen an der Seite angebracht.

Komm“, sagt der Kunde/Nachbar von meinem Enthusiasmus angesteckt und bringt mich zu Regalen mit gebrauchten Materialen, erneuerten Einzelteilen, Spielzeug und Gegenständigen des täglichen Lebens, rekonstruierte und wieder zum Leben erweckte, recycelte Kunst. Er zeigt auf kleine Figuren, gefangen in der Zeit, in leeren Glühbirnen, in ihrem eigenen Reich.

Komm“, sagt Frauke und bringt mich zu einem kleinen Eckladen, „das ist die Vorderseite eines echten, alten Kiosks, voller Kitsch, alles nützlich, bunt und lebendig, der Kiosk an der Ecke war der Ort, wo man alle Neuigkeiten kannte, alle Nachrichten, vom Nachbarschafts-Tratsch bis hin zu den Geschehnissen in der Welt, viel zuverlässiger als die Zeitungen.“

Komm“, sagt Dietmar und winkt mich zu sich. Ich folge ihm schnell, um ihn nicht in einer dunklen Ecke aus den Augen zu verlieren. Erst ein Raum, dann ein anderer, und schon stehen wir in seiner Werkstatt in einem Hinterraum des Dachbodens.

Die Zeit hängt an Angelleinen von der Decke, trägt ein paar fertige, ein paar unfertige Installationen, manche sind Müll, aus dem Ideen geformt und erst noch zum Leben erweckt werden müssen.

Spiralen, Drähte, an denen winzige Figuren hängen, die auf unterschiedlichen Dinge in ihrer Welt zeigen, der Raum nimmt die Form einer Glühbirne ein, die Zeit kann einfach stillstehen und sich auflösen.

In welcher Richtung liegt Berlin?“, frage ich beim Anblick eines runden Kompasses auf einem Stück Holz unter einem Stein aus der alten Kirche, also versuchen wir es herauszufinden. „Alle Städte können überall liegen, der Kompass formt die Welt um“, lacht Dietmar.

Wieder draußen auf den alten Straßen der Altstadt von Unna, wo Häuser aus dunklem Holz und weißem Lehm in die Luft ragen, während die Zeit an ihnen vorbeizieht. Hoch oben an der Ecke zwischen zwei Gebäuden hängt eine Statue des letzten Nachtwächters von Unna, mit einem Speer in der einen und einer Laterne in der anderen Hand; eine Begegnung mit der Vergangenheit von vor fünfhundert Jahren.

In Form von Nachhaltigkeit und Recycling! Die Gedanken schweifen von den Problemen, die die Menschheit schamlos kreiert, zu der wunderschönen Straßenkunst von Unna, Nachhaltigkeit und Neuschöpfung, das Kunsthaus der Nowodworskis, die alte Brauerei als Teil einer Lichtinstallation, Licht, könnte die Lösung in individuellem Bestreben liegen? Könnten Individuen die Veränderung sein?

Können wir?

Kann die Menschheit den Planeten auf einer Hand tragen?

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