ich verspritze mein Blut.
19. Mai 2022
Für Delphine
(Deutschland)
Plötzlicher, stechender Schmerz
wie ein Blitz, der sich verzweigt
Unterbauch, Lippen, Schenkel
lacht mich höhnisch aus
La semaine prochaine,
j’va t’sortir ton sang toé, ma caliss.
Nächste Woche press ich dir das Blut aus dir raus,
Herzchen
Kopfschmerzen
unruhig
unzufrieden mit allem
Tabletten nützen nichts
schreiender, tobender Schmerz
Toé, ma maudite, tu vas pas dormir d’la nuit
pis tes draps… [rire diabolique]
Heute Nacht schlafen? Vergiss es, du Miststück,
und deine Laken … [teuflisches Lachen]
Umfallen vor Müdigkeit
sich pausenlos Filme reinziehen, endlos hungrig,
zwischen Depression und Nichts-tun-Wollen,
und dann die nächste Gehässigkeit
yaaaaahhhh toé, ma tabarnak,
j’arrive osti !
hey, du Bratze, mach dich drauf gefasst,
gleich bin ich da!
Ich steh auf
rot
die Dusche, wenn ich meinen Körper wasche
Schenkel, Vulva
heißes Wasser an der Möse
glucksend mischen sich die Flüssigkeiten
… pis toi ma p’tite criss
laisse-moé m’faire ma journée
pis coule mon sang pour la semaine
mais pu d’douleur, j’tannée là.
… und jetzt, mein Schätzchen
lass mich in Frieden
von mir aus Blut die ganze Woche lang
aber keine Schmerzen mehr, es reicht!
***
Liebe Delphine,
(es gab zu viel zu schreiben für nur eine Postkarte: Scheint, ich hab ne Menge zu sagen über Blut!)
Ich hatte Lust, dir von meiner Regel zu erzählen, keine Ahnung, warum. Als ich meine Menarche bekommen habe (oder bei meiner Menarche? Ich muss sagen, ich weiß gar nicht so genau, wie das Wort verwendet wird, abgesehen davon, dass ich viel zu spät von seiner Existenz erfahren habe! „Menarche“, ausgesprochen wie die Arche (Noah? Nora?). Die Endung -arche bedeutet Anfang von etwas, man könnte also auch sagen: Semenarche, Thorarche, Spermarche, Ejakularche, Polluarche, um die erste Ejakulation des Penis zu markieren (nota bene: es gibt noch keine vaginale Wortentsprechung.))
… Also: bei meiner Menarche oder als nach der Schule plötzlich ein paar Tropfen in meiner Unterhose auftauchten, reichte mir mein Vater etwas ungeschickt eine (Maxi-) Damenbinde und erklärte mir mit wenigen Worten, wie ich sie im Slip befestigen sollte. Meine Mutter war arbeiten, mir wäre es lieber gewesen, sie hätte mir das alles gezeigt. Niemand hatte mir erklärt, dass es beim ersten Mal nur ein paar Tropfen sind. Ich dachte, es wäre ein Fehlalarm, und es tat mir ein wenig leid für meinen Vater …
Nach und nach hat meine Menstruation immer mehr meinen Lebensrhythmus bestimmt, die Monate, Jahreszeiten. War nicht allzu schmerzhaft bis zum Einsetzen eines IUPs (aber abgesehen davon vielen Dank an die Erfinder·in!). Mit dem Alter hat sie sich verändert: prämenstruelle Depression, plötzliche Krämpfe, mal länger, mal kürzer, Verstopfung, Heißhunger oder Appetitlosigkeit … Ich weiß nicht, ob ich mich jemals an die Krämpfe gewöhnen werde, die mich eine Woche vorher aus heiterem Himmel überfallen, an die Lustlosigkeit, und daran, dass ich mich nur noch mit Filmen zudröhnen will. Dass ich bei Katzenvideos weinen muss. Auch, wenn sie jeden Monat wiederkommt. Und auch, wenn ich weiß, dass ich mehr als fünf Jahre meines Lebens damit verbringen werde, Blut aus meiner Vagina aufzufangen.
Ich habe, bzw. wir haben das Glück, in einem Land zu leben, wo gute Hygieneverhältnisse herrschen, wo „ihre Tage haben“ immer weniger tabu ist, wo „weibliche Hygieneprodukte“ in Toiletten von Restaurants oder Theatern immer häufiger zu finden sind, wo es wiederverwendbare Hygieneprodukte von guter Qualität gibt. Und vor allem, wo man uns nicht zwingt, uns zu isolieren, wenn das Blut zwischen unseren Beinen fließt.
Mein Blut fließt in meine Menstruationstasse, wenn ich auf Versammlungen, unter Menschen, mit Freund·innen zusammen bin. Es kommt überall rein, ins Museum, in die Oper, in Geschäfte, Konzertsäle, Ärzt·innenpraxen und Flugzeuge.
Wenn ich will, kann ich mein Blut als Dünger im Garten verwenden oder Kleidung damit färben.
Und wie wäre es mit einem Pollock?
Ich niese verspritze mein Blut auf eine Leinwand!
Und du, dein Blut?
Küsse aus dem Münsterland,
Neïtah