Angst & Zeit

Die Angst verläuft durch einen

1 |

Es ist Mitte März und ich habe eine Lieblingsbank gefunden, auf 
dem Johannisfriedhof, unter einem Nadelbaum. Seine Äste so tief, dass 
ich mich bücken muss, um zu ihr hinzukommen. Wie unter einem Hut oder 
in einer Hütte sitzt man da. Was mir auch gefällt: Die Bank ist nicht auf 
den wirklich schönen Friedhof gerichtet, sondern angewinkelt, sodass man, da 
sie sich außerdem an der Friedhofsgrenze befindet, auf die gewundenen 
Auf- und Abfahrten des Ostwestfalendamms schaut, der hier entlang 
läuft. Man sieht auch den Damm selber, die ihn begleitenden Bahntrassen, dazu 
Industriehallen, von Dr. Oetker. Eine Friedhofsbank, um fahrende Auto zu 
schauen. Ich bin da und leg den Kopf in den Nacken, seh in das zunehmende 
Dunkel der Äste über mir, wie immer, wenn ich so ins Astwerk gucke, hoffe 
ich, dass mir keine Insekten ins Gesicht fallen. Die Autos zwischen den 
Büschen vor mir, wie Autos halt. Nochmal bin ich an der Bank, um eine 
Zeichnung vom Ausblick zu versuchen, es kommt ein Mann mit Helm 
vorbei, ich mach, auf sein Ausrufen hin, das Victory-Zeichen für ihn, nicht 
aber für seine Begleitung, die guckt nach vorn. An einem Feierabend mit viel 
Wind und Regen Anfang April bin ich erneut da und bemerke, dass ich auch
jetzt noch, dank des Nadelbaums, nahezu vollkommen trocken auf ihr sitzen 
kann. Die Bank ist eine, die gibt und gibt. Trotzdem bin ich, nach diesen ersten 
drei Besuchen, nie wieder bei ihr gewesen.

Frage |

Wie kommen die Flecken auf die Kassennummerntafeln bei Netto? Sie 
sind aus Glas, mit aufgeklebten Ziffern und hängen mehr als zwei Meter 
hoch, direkt überm Kassenband, aber sie sind mit Flecken gesprenkelt, als 
wären sie Badezimmerspiegel.

2 |

Für einen kurzen Zeitraum im April denke ich, dass es überall blühende 
Magnolienbäume geben müsste, hier in der Region, und die Referenzmenge für 
diese Annahme sind dann aber doch eher nur die Vorgärten aus betuchteren 
Straßenzügen, in Gütersloh und Bielefeld.

3 |

Auch im Bielefelder Westen ein eiergelber Altbau mit himmelblauen 
Fenstern, alles wie vor Kurzem gestrichen. Lässt das Haus fast schweben. Beim 
Vorbeikommen möchte ich hinein beißen, oder so. Noch ein nahezu 
Hunger erweckendes Architekturdetail sind die leuchtend grünen Beifenster, die 
mir zum ersten Mal an einem Altbau in der Moltkestraße in Gütersloh auffallen. 
Etwas später realisiere ich, dass es nur ein paar Häuser weiter von meiner eigenen, 
zweiten Unterkunft, in der Ellerstraße, auch so ein Haus mit grünen Fenstern gibt, 
waldmeisterschimmernd, gleich daneben wohnt der nette Verkäufer aus dem 
Second Hand Computerladen, den ich, solange ich dort wohne, manchmal 
auf der Straße treff, er lädt mich ein, dazu zu kommen, sollte ich ihn mal 
auf dem Siggi sitzen sehen. Er hat, nach eigenen Angaben, fünf Bücher in 
seinem Leben gelesen, eins davon war ein Sciene-Fiction Roman über 
Kommunisten auf dem Mond, während eines Auslandjahres, er ließ das 
Buch da, vergaß den Titel, doch seine Tante, ein großer Sci-Fi Fan, konnte 
ihm, nach nur ein oder zwei beschreibenden Sätzen, gleich den richtigen 
Titel wieder nennen – es war wohl etwas von Ursula K. Le Guin gewesen.

4 |

Auf der vierten Etage von einem der Apartmentgebäude auf der Danziger 
Straße ein riesiger Deko-Schmetterling, an einer Balkonwand angebracht, bestimmt 
einen halben Meter im Durchmesser, und er wirkt, zumindest von hier unten, im 
Mittagsblau, sehr naturgetreu, nahezu erschreckend naturgetreu. 

5 |

Ich glaube, im April war das, da besucht für zwei, drei Wochen jeden 
Abend ein ganz bestimmter Singvogel die Gärten nach hinten raus in der 
Ellerstraße, ich kann ihn selbst durch geschlossene Fenster hören, er taucht 
immer zwischen acht und neun auf, vielleicht für ein Viertelstündchen. Es 
muss dieser Vogel sein, der Umweltgeräusche aufnehmen kann, denn sein sehr 
Varianten-reicher Vortrag ist jedes Mal gespickt von Geräuschen, die eigentlich 
nur wie das gesungene Schließsignal von Autotüren klingen. Ich beginne, mich 
auf seine Gesänge zu freuen. Hier ist mal jemand, der es versteht, sehr direkt 
aus Wahrnehmung Kunst zu machen.

6a |

Mitte März passiert mir noch etwas, das mir so glaube ich noch nie bis 
dahin passiert ist, ich schreie einen Mitarbeiter in einer Hotline an. Es ist ein 
Kaltanruf meiner Sparkasse, Köln-Bonn, mit dem Mitarbeiter habe ich bis dahin 
noch nie gesprochen gehabt, und ich solle doch langsam mal den neuen AGBs 
zustimmen, ich sei einer der Allerletzten, die das noch nicht gemacht hätten, und 
grundsätzlich wünsche sich die Sparkasse von nun an nur noch Kunden, die sie,  
als Bank, auch zu schätzen wüssten – da vergess‘ ich mich ein wenig. Es hatte 
aber auch schon nicht so gut angefangen, der Mitarbeiter hatte mich, als ich 
seinen Anruf entgegennahm, erst für einen Anrufbeantworter gehalten. 

6b |

Am selben Abend komme ich, über die Straße namens Morgenbreede, an 
der Rückseite des riesigen Uni-Hauptgebäudes an, es ist mein erstes Mal hier 
oben am Berg, der Himmel schon im dunkelsten Blau. Sichtbar sind fünf 
Gebäudeflügel, hoch, durch einen Haupttrakt in ihrer Mitte verbunden. Eine 
Wiese fällt von der Straße zum Gebäudekomplex hinunter. Auffällig auch ein 
Lichtband in Form einer fast über den gesamten Komplex hell erleuchteten 
Etage, wahrscheinlich die Bibliothek. Vereinzelte Menschen, aus den Flügeln 
kommend, Wege in der Wiese hochlaufend. Alles zusammen ist es ein ziemlich
brutalistisches Feuerwerk, an einem Dienstagabend. Und dann ist da, bis hoch 
hin zur Straße hier, vor allem wieder eins zur hören: Vögel. Die Schwarmgeräusche 
kommen aus dem Innehof zwischen den ersten beiden Gebäudeflügeln, der Großteil 
der Fläche dort ist eingezäunt, Baustelle, ein Kran ragt in die Höhe. Ein matschiger 
Pfad führt um die Ecke und zwischen Gebäude und Bauzaun entlang, nach einem 
kurzen Stück erkenn ich den Baum, aus dem die Geräusche kommen müssen. 
Zwischen dem Astwerk die schwarze Ausformungen der Vögel, sitzend, am 
reden. Ich bin noch gut zwanzig Meter entfernt, da verstummen sie, ich bleibe 
stehen. Zurückdrehen – sonst ist niemand hier im Innenhof, oben vereinzelt 
Leute, auf der Morgenbreede. Dann eine Stimme, noch eine, noch eine und 
immer noch eine, aus dem Baum und auch den umstehenden Bäumen und von 
den Gebäudekanten und -vorsprüngen hinweg, über mir und überall nun 
die Stimmen der Vögel. Sie reden über mich. Ich setzte meinen Gang fort, 
auf den Baum zu, es wird noch lauter, nur noch ein paar Schritte, dann besser 
aber wieder Stehenbleiben, jetzt wirklich, ich sollte es nicht ausreizen, da steigen 
die ersten Vögel auf, fliegen in einem Kreis zwischen den Gebäuden entlang, ich 
versuche, sie gegen den Schein des Baustellenscheinwerfers zu erkennen. Sowas wie 
Raben vielleicht, aber eigentlich zu klein. Mit meinen Gedanken gebe ich dieser 
Spähergruppe zu verstehen, dass alles okay sei, dass ich nur gucken will. Sie kreisen 
zwei, drei Mal, gleich werden sie wieder landen – da macht es ein riesiges 
Geflatter und der Baum verliert, ein zweites Mal in diesem doch fast schon 
beendeten Winter, seine Blätter. Sie erheben sich aus ihm, in Kreisen, fliegen 
zuerst niedrig zwischen den Gebäudeflügeln umher, vielleicht wollen sie hoch 
aufs Dach!, stürzen dann aber doch weg, vom Gebäude und voneinander, und 
hoch über die Wiese sich verteilend zur Straße mit ihrer Allee, außerhalb meines 
Sichtfeldes. Stille. Auf der Hälfte des Weges direkt über die Wiese zurück, drehe 
ich mich nochmal um. Ich meine, einen Teil von ihnen ist bereits wieder im Baum 
sitzen zu hören. Auf dem Rückweg den Berg hinunter, das vereinzelte Licht der 
Fenster in den Häusern, die Straßen rauf und runter, wie Inseln in der Nacht. 

Frage |

Warum kann ich nicht Nein sagen? 

7a |

Gestern den ersten Abend in der neuesten, dritten, letzten Wohnung
verbracht: Nach der Ausstrahlung von Go Trabi Go auf dem beeindruckend fetten 
Fernseher, das Licht im Zimmer ausgemacht, und von der Couch aus liegend in 
das riesige schwarze Loch geschaut, dass das Wohnungsfenster zum Hinterhof 
ist. Hat man das Licht an und steht im Zimmer, ist es wie ein Spiegel, in dem man 
nur sich selber sehen kann, ängstlich versuchend, etwas in der Dunkelheit zu 
erkennen. Die Wohnung liegt im Erdgeschoss. Direkt an das Fenster heran ragt wild 
wachsendes Gras, Brombeeren, Insekten klickern tagsüber wie Steine dagegen. Ich 
liege im Dunkeln auf der Couch, meine Beine über eins ihrer Enden geworfen, 
sie wurde nicht zum Liegen gemacht. Die Dunkelheit im Zimmer und vor dem 
Fenster weicht langsam etwas Anderem, in dem das hohe Gras und die Äste der 
Kirsche im Hinterhof vor den Wolken wippend und wehend erscheinen, auch 
anderes taucht auf, in Silhouetten, der Nachbarszaun, die Bäume, die Industriehalle, die 
den Hof nach hinten hin begrenzt, der Nachthimmel dazu, als sowas wie ein Hintergrund. 
Natürlich läuft auch Musik, im Zimmer. Von circa sechszehn bis zwanzig habe ich, wie 
mir nun auffällt, schon relativ viel Zeit nachts draußen im Dunkeln verbracht, allein und 
mit Freunden, irgendwie hockten wir immer in irgendeinem Park oder an einem Ufer 
oder bei wem im Garten oder ich war wieder auf einem dieser irre langen Nachhausewege 
unterwegs. Jetzt lass ich die Dunkelheit durchs Zimmer kommen, die neue Wohnung 
einweihen, damit ich, in ein paar Tagen, nicht bei Einbruch der Dunkelheit gleich 
immer die Vorhänge zuziehen muss, sondern unbeeindruckt neben dem schwarzen 
Spiegel des Fensters bis weit über Mitternacht Fernsehen oder Laptop schauen kann.

7b |

Am nächsten Tag und die Tage darauf, fallen die Blüten des riesigen 
Kirschbaums als Schnee in das Dickicht des Hinterhofs, die Brombeeren und 
Brennnesseln und der Weizen und was auch immer sonst noch da wächst nehmen 
die weißen Flocken auf, wollen selber über den Rand meiner Fensterbank.
Wenn einen die Angst nicht umkreist, verläuft sie durch einen. 

Nachtrag |

Wenn man das riesige Fenster weit kippt, hört man jetzt, im 
beginnenden Sommer, die Tauben und andere Vögel durchs Blattwerk 
tappen, und die Blätter von allem Rauschen und Rascheln im fortwährenden 
Wind, wie Gewässer selber, oder wie Treibgut im Ozean der Luft. Ab- 
wechselnd dazu die Kinderschreie von hinterm Nachbarszaun und gestern 
Abend sogar, ein paar Häuser weiter, eine ganze Feier mit Anlagenmusik, bei 
der aber auch vor allem nur Kinder bis in die Nacht mitsangen, während sich 
hinterm Nachbarszaun zwei Männer ab und zu etwas sagten. Ich hörte Musik. 

Nur Zeit hast du genug

1 |

Die Stängel der schon kahlgeblasenen ehemaligen Löwenzähne 
im Gras. 

2 |

In der Lokalzeit bei WDR empfindet der Moderator mein 
Hiersein laut seiner Anmoderation als: seltsam und harmlos und 
nett, und, vor allem aber, und das sollte einen hellhörig machen, wenn 
es einem selber gilt: als von den Steuergeldern der Zuschauer bezahlt. 

3 |

Für eine knappe Zigarette sitz der Koch von SuuTje neben mir draußen 
auf der Bank, Martin bezahlt da gerade drinnen. Wir waren vor Ladenöffnung 
dagewesen, hatten aber trotzdem für ein Getränk schon Platz bekommen. Der 
Koch erzählt, er ist seit 15 Jahren in der Gastro, und er verachte Küche aus 
dem Tiefkühler. Er möchte sein Gemüse sehen. Hier kommt alles vom 
Markt, und dabei deutet er auf den Siegfriedplatz. 70 bis 80 Gerichte an einem 
typischen Tag. Er ist alleine da unten, nur in Stoßzeiten kommt manchmal Emre 
(das ist glaub ich der Chef) dazu, hilft was mit. Das Wichtigste: Alles so zu 
machen, dass man Zeit, das heißt: Schritte spart. So hat man ihm das damals 
beigebracht. Außerdem immer die Dinge parallel abwickeln. Wenn 15 Zettel 
gleichzeitig unten hängen, will keiner von denen erst in 1 ½ h sein Essen 
bekommen. Schließlich: Mit jeder neuen Küche lernt man auch das Kochen 
ein bisschen wieder neu. Er ist lässig. Manchmal fällt ihm die Asche seiner 
Zigarette auf die Brust, er wischt sie dann weg. Kippenende. Es geht los. 

Einschub |

Ich habe noch nie ein Gedicht darüber geschrieben, wie meine 
Freunde alle Tiere werden und wir zusammen Baden gehen. 

4a |

Es gibt keine Kneipenkultur in Bielefeld, sagt Thea, und es wirkt 
so, als ob sie Recht hätte, wo ich mir versuche, Kneipen in Erinnerung 
zu rufen, von meinen bisherigen Wegen. In Köln gibt es gefühlt auf fast 
jeder Ecke eine. Ich frage Thea, wo die Leute dann trinken gehen, aber 
irgendwie bleibt die Frage unbeantwortet. Auf dem Kesselbrink, klar, und 
auf dieser einen Bank z.B. im Grünstreifen vor Stauteich #2. Auch in die 
Dünen am Hauptbahnhof-Park, da bei der Tüte, kann man wohl gehen. Und 
vielleicht auch auf die Treppen von der Rückseite vom Bahnhof, zum neuen 
Bahnhofsviertel rauf. Aber das alles, das reicht doch nicht. 

4b |

Thea zeigt mir die Instagram- bzw. die Influener-Allee, eine 
lange, leicht gebogene Straße vom Ende der Innenstadt am Ostbahnhof 
bis hin zur Radrennbahn kurz vor Heepen, und eigentlich sähe sie, die 
Straße, fast trist aus, unauffällig gleichmäßiger Wohnungsbau entlang von 
ihr, mehr oder weniger, wie halt in allen Vorstädten, die ich so kenne, aber, 
und das ist halt der Clou, die ganze Straße entlang läuft eine Allee aus 
Kirschbäumen. Der Boden ist voll von deren rosa und pinken Blütenblättern, 
und vor noch ein paar Tagen muss es hier richtig heftig ausgesehen haben. Wir 
sind leicht zu spät, die Blüte hat ihren Zenith schon überschritten, und trotzdem 
wirkt es immer noch imposant. Am zweiten Tag in OWL, Anfang März, als ich 
zum ersten Essen mit dem Kulturbüro lief, kam ich schonmal hier entlang, aber 
da war alles noch märzlich und karg und mir fehlte die Aufmerksamkeit, zu 
realisieren, was das für Bäume waren. Die Anwohner beschweren sich anscheinend 
übrigens regelmäßig über all die Leute, die hier Fotos machen. Ich mach dann 
auch eins und merk sofort, dass uns jemand mit Schnäuzer beobachtet, aus 
der obersten Etage des Hauses vor uns. Ich grüße zaghaft. 

5 |

Die Fußpflege bei Swetlana findet in einem nahezu leeren und so noch 
größer wirkenden Raum statt, der früher mal als Büro gedient haben muss. Ich 
bin die ganze Behandlung lang mit der Nase fast unter den quadratischen Paneelen 
der damit abgehangenen Decke, diese Decke zusammen mit den Lamellenjalousien für 
mich schon immer das Inbild von Office gewesen. Ist ein gutes Gefühl. Dinge werden 
immer realer, wenn sie an einem Ort stattfinden, der mal für was anders bestimmt war. 

6 |

Wir schauen den einen der zwei Bären im Tierpark an, und ich glaube, ein 
bisschen unwohl ist uns allen dabei, Edda, Niklas und mir. Er liegt auf einer 
Wiese weiter oben, ich versuche die meiste Zeit, im Fell seine Augen 
auszumachen, frage mich, ob er sie einfach immer zu lässt. Dann blinzeln 
aber doch zwei schwarze Knöpfe hervor. Er liegt so da. Als wir um das Gehege 
herum den Pfad weiter hoch sind, zu den Silberfüchsen, findet Niklas den zweiten 
Bären, eine Sie, sie bewegt sich nah an der Wand zum überdachten und tagsüber 
vielleicht verschlossenen Gehege entlang, außerhalb des Blickfeldes der 
Besucher, die von unten immer wieder zu ihnen oder zu sich selber rufen. 

Einschub |

Ich habe noch nie ein Gedicht darüber geschrieben, wie Leute vor 
meinen frisch geputzten Fenstern fliegen. Ich habe noch nie meine Fenster geputzt. 

7 |

Ich steh an einem der oberen Teiche des Johannisbaches, eine Ente mit 
schön schimmernden Gefieder schwimmt auf ihm herum. Es ist auch ein 
Reiher da, der tatsächlich bei meinem Kommen nicht Reißaus genommen 
hat, nur ein paar Meter von mir entfernt hebt er seine Beine weiter 
langsam durch den Morast. Es ist alles sehr schön. 

8 |

Ich finde im Spiegel eines Abends, als ich eher gestresst bin (oder war es 
an einem Morgen?) auf meinem schütteren Kopfhaar eine graue Strähne, ganz 
vorne und mittig. Wie konnte sie mir bisher entgangen sein? Und in meinem 
Stress denke ich mir: Das habt ihr mit mir gemacht. Wer auch immer „ihr“ ist. 

9 |

Vier oder fünf Dudes in einem Café im Stieghorst Carré und sie unterhalten 
sich angeregt und sich gegenseitig bestärkend über ihre Sorgerechts-Probleme bzw. 
eher über die damit verbundenen Unterhaltszahlungen. Einem wurde wohl von 
seiner Schwiegermutter ordentlich Feuer gemacht. Sie sehen cool aus. 

Einschub |

Ich habe noch nie ein Gedicht über ausgedachte Autos geschrieben. 

10 |

Im Netto eines Abends auch eine lässige Girltruppe. Ich hör sie zum 
ersten Mal in meinem Rücken, als ich vorm Weinregal steh, sie beraten, ob 
sie ein oder zwei Flaschen Vodka brauchen, und die Argumentation wird dann 
schnell von einer von ihnen übernommen, sie seien ja: „Eins, zwei, drei, vier, Sanny 
– Fünf“, und eine Flasche reiche da sicher nicht. An der Kasse stehen sie vor 
mir und haben einen tatsächlich legendär wirkenden Einkauf gemacht: Die zwei 
besprochenen Flaschen Vodka (und ich vergess leider, darauf zu achten, ob 
es Marken- oder Discountware ist), dazu Bitter Lemon und Cola von der Netto- 
Eigenmarke. Zwei von Ihnen bezahlen außerdem vorab noch eine Packung 
Toast und eine Packung Scheibenkäse. Es hat fast was Gemütliches, ich frag 
mich, ob sie sich nur irgendwo zuhause abschießen wollen oder ob sie auch 
noch ausgehen werden, ihr Look gibt da irgendwie keinen klaren Aufschluss 
drauf. Sie lachen viel und der ebenfalls noch junge Verkäufer müht sich dann 
noch ziemlich ausgiebig an den Sicherheitsverschlüssen der Vodkaflaschen 
ab, er muss beide etliche Male auf die Kante seines Kassentisches hauen, bis 
sie endlich nachgeben, aufgehen. 

11 |

Larissa erzählt von Spinnen im Netz, die ihre Fühler überall hin 
ausstrecken – also, damit sind jetzt kulturelle und öffentliche Akteure gemeint. 

12 |

Alexandra und ich stranden für eine Zeit in dem Bistro am Flugplatz in 
der Senne, weil gerade der Rand von dem Gewitter vorüberzieht, das wohl in 
anderen Teilen OWLs für ziemlich viel Aufregung sorgen wird. Zum Glück 
noch vor meiner Großbestellung Pizza merke ich, dass ich fast kein Bargeld 
dabei habe, Alexandra wohl auch nicht, schade für die Cipolla ist es allerdings. 
Wie in jedem Etablissement wünsch ich mir auf eine vielleicht unangenehme 
Art, von den Mitarbeitenden, hier der Wirtin, gemocht zu werden. Der Regen 
zieht vorüber, Alexandra zeigt mir ihren alten Grundschulweg, der zwischendurch 
aus Trampelpfaden durch die Waldstücke hinter den Siedlungen besteht. Auf 
dem Sennefriedhof vorher und auch in den Gärten der Siedlungshäuser der 
Rhododendron in vollster Blüte, die Sträucher selber riesige Kugeln, aus denen 
dann wieder hunderte rosa und lila Puscheln steigen. Auch auf dem Friedhof, 
der Abschnitt mit den schwarzen Grabsteinen, die alle fast fotorealistisch- 
wirkende Abbildungen der Verstorbenen trugen. 

Einschub |

Ich habe noch nie ein Gedicht über Venedig, bei Tag oder 
bei Nacht, geschrieben. 

13 |

Ein interessantes Detail am Kulturhaus Ost, das mal früher eine FH 
oder Berufsschule o. Ä. gewesen sein muss, das Alexandra und ich entdecken, 
als wir nochmal durchlaufen, bevor das Haus sehr kurzfristig von der Stadt 
umfunktioniert werden wird: An einer Außenmauer zum Hof hin sind diverse 
Gussplatten an der Wand montiert. Teils landwirtschaftlich-romantische 
Motive, teils abstrakt gemustert. Es handelt sich laut einer Plakette um 
Bewitterungstest der jeweiligen Materialien, aus denen die Platten sind, diese 
werden auch angegeben, die Codes dafür sagen mir aber leider rein gar nichts. Laut 
der Plakette hängen die Platten seit Herbst 1977 hier. Und wie ist der Bewitterungsgrad 
ausgefallen? Das ist das Einzige, was man nicht mehr nachvollziehen kann, denn 
irgendwann wurden sie flächendeckend übersprayt. Alexandra sagt, dass sei ja 
auch eine Form der Witterung. Ich bin zu spät angekommen, um das Kulturhaus 
Ost noch wirklich mitzukriegen, aber in den kommenden Wochen und Monaten 
ist die Traurigkeit über dessen Schließung allen ehemals dort arbeitenden 
Künstlerinnen anzumerken, die ich hier und da treff, und vielleicht ist diese 
Traurigkeit auch ein guter Indikatior dafür, was dieser Ort für die, wie man sie 
so schön nennt, Kulturlandschaft hier bedeutet haben muss. 

14 |

Im Stieghorst Carré steh ich in einer Bäckerei und versuch mich 
am Lustigsein: Während ich hinter der Theke warte, krieg ich mit, wie 
eine ältere Mitarbeiterin zu einer Jüngeren sagt: „Du kannst mich auch 
Jasmin nennen“, und als sich diese mir zuwendet, sage ich zu ihr: „Sie 
können mich auch Jasmin nennen“. Die Mitarbeiterin lächelt etwas 
irritiert, ich bestell einen Kaffeestreifen. Zwischen Wunsch und 
Wirklichkeit ein Tal, darin lauert der Cringe. 

Nachtrag |

Ich hab noch nie ein Gedicht über eine Erweckungsgemeinde geschrieben. 

Nachtrag |

Ich hab noch nie ein Gedicht über Raumfahrt geschrieben. 

Nachtrag |

Ich hab noch nie ein Gedicht über Liebe geschrieben. 

Nachtrag |

Ich hab noch nie ein Gedicht geschrieben, in dem ich um Verzeihung bitte. 
Wenn ich nur wüsste, wie viel Zeit ich hab.

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