Zeit

Wem gehört die Zeit?

Wenke und ich halten mitten auf der Straße, um noch eine Windkraftanlage zu 
fotografieren, aus dem Auto heraus, ein paar Locals (genauer: eine ältere Dame 
in einem Ford und ein schon richtig alter Herr auf einem Rad) müssen um uns 
herum und fucken sich darüber ab, verständlicherweise, wenn ich ehrlich bin. 
Eine Landstraßen-Gabelung später halten wir erneut, dieses Mal allerdings 
auf einem Stück Schotter, gucken und fotografieren weiter die Windräder, die 
hier zu Dutzenden in den Feldern der sanft rollenden Hügel stehen. Ein paar 
Minuten zuvor hatten wir noch den Klatschmohn am Rand der zu dieser 
Jahreszeit weich wirkenden Getreidefelder beschaut, sein Rot fast ein Geruch. 
Wir sind auf dem Weg weg von der Wewelsburg und irgendwo hin, wo wir was 
Essen können, wahrscheinlich geht das in Büren. Wenke und die Direktorin der 
Burg hatten vorher beide sehr farbenfrohe Klamotten getragen, Wenke trägt sie 
auch immer noch, ich aus irgendeinem Grund allerdings hab ausgerechnet an 
diesem Tag eher ein dezentes Hemd an. Auffällig viele Mitarbeiterinnen der 
Wewelsburg schienen farbenfrohe Kleidung zu haben. 
Es wird tatsächlich Büren werden, hinsichtlich des Essens, und bis das griechische 
Restaurant am Marktplatz(?) in der Innenstadt aufmacht findet Wenke noch eine 
lila Lederjacke auf 50 Euro reduziert, die Verkäuferin im Geschäft erklärt es uns 
so, dass sie eigentlich ein Laden für (Leder)schuhe aus eigener Herstellung seien, und die 
Jacken und ebenfalls im Angebot befindlichen Taschen würde man immer für Messen 
dazu kaufen, um ein farblich passendes Ensemble zu den Schuhen zeigen zu können. Mir 
gefallen die ausgestellten Sandalen im Laden sehr, sie haben so schlicht schwingende 
Formen, Wenke meint, während sie sich zwischen ungefähr sieben Jacken zu entscheiden 
versucht, ich solle doch einfach mal eine anprobieren, aber es gibt nur Damengrößen. Hinter 
der Kasse im Laden eine rassistisch wirkende alte Schuhpflege-Blechwerbung, zur Dekoration. 
Nach unseren Bifteki schaffen wir es in der Abendsonne tatsächlich noch raus zu 
den Externsteinen, wir parken am Straßenrand, vor dem offiziellen und bezahl-
pflichtigen Parkplatzgelände, Wenke will sich die Gebühren sparen, ich habe 
Sorge, dass wir vielleicht abgeschleppt werden, gleich unten gegenüber der 
Parkplatzeinfahrt gibt es einen größeren Teich und auf seiner Oberfläche sind 
nun im glänzenden Abendlicht Mücken ohne Ende, ein Konzert, oder eine Gala, 
oder so, ein junger Mann mit Bart und einem ziemlich langen Objektiv schießt 
Fotos, aber eher wohl vom sich anbahnenden Sonnenuntergang. Auch beim zweiten 
Besuch wirkt alles, das Areal und die Steine selber, ein bisschen wie Phantasialand. 
Das erste Mal war ich mit Alexandra, einer anderen Alexandra allerdings, als 
der schonmal erwähnten aus Bielefeld, Mitte Mai bei den Steinen gewesen. Diese 
Alexandra hat mir auch das den Steinen vorgelagerte Horn-Bad Meinberg 
gezeigt, sie ist in der Nähe davon aufgewachsen. An diesem heißen Maitag befinden 
Alexandra und ich ebenfalls, dass die Externsteine ein bisschen Phantasialand 
seien – wahrscheinlich, weil die Steine an manchen Stellen so unnatürlich glatt, von 
den Jahrtausenden der Witterung, geworden sind, auch, weil sie wie angemalt 
aussehen, in all ihren Farbwechseln und -nuancen. Besonders ist vielleicht auch, dass 
ich in Alexandra jemanden an diesem Tag treffe, die auch Höhenangst hat, und 
so legen wir beide relativ schnell und ohne große Gewissensbisse den Plan, auf 
die Steine hochzusteigen, wie man es als guter Tourist hier eigentlich macht, wieder 
bei Seite. 
Ich bin auch nicht aufs Hermannsdenkmal raufgelaufen, das war noch 
etwas vor Horn Bad Meinberg gewesen, am Tag der Arbeit (1. Mai). Während 
ich da vor dem Denkmal stehe und warte, ob ich nicht vielleicht doch noch etwas 
Mut finde, koordiniert auf der Treppe hoch zum Eingang ein Vater sehr geschickt 
einen ganzen Ausflug an Kindern für den gemeinsamen Aufstieg, es hängen auch 
noch mehrere Erwachsenengenerationen an der Gruppe mit dran. Ich mache 
zumindest dahingehend das Touri-Ding allerdings, als dass ich mir später ohne 
großes Wimpernzucken für fünf Euro eine Halbliter-Flasche Cola hole. Während 
ich weiter warte, kommt ein Paar auf ganz ansehnlich ausladenden Mountainbikes 
den Weg hinauf, kreist einmal ums Denkmal drum herum, er fährt ohne zu Halten 
gleich wieder den Weg bergab, „Was soll man schon hier?!“, ruft er über die 
Schulter hinweg seiner Begleitung zu, sie schaut etwas verwirrt hinten drein, vielleicht 
auch ein bisschen enttäuscht, sie hat ein Jersey an, das wie von NASCAR oder 
vom Motocross aussieht. Auf den breiten Treppen runter zu dem Aussichtspunkt 
gleich hinterm Denkmal erzählt eine Mutter ihrer Mutter und ihren Kindern etwas 
von den früheren schrecklichen Zeiten, und irgendwie wird mir da fast ein bisschen 
schlecht, vielleicht bin ich aber auch nur traurig, dass gerade einige Schulklassen die 
gesamte Mauer des Aussichtspunktes beanspruchen. Am Denkmal und 
dieser einen abgebrannten Hütte wieder vorbei und runter zum Hauptareal für 
Snacks und Souvenirs, gönn ich mir noch eine Pommes, dann steig ich 
wieder hinab, nach Detmold zurück, wieder zu Fuß, aber dieses Mal find ich 
einen Waldweg für den Abstieg – hoch war ich den dankbar einfachen Routen-
angaben eines Kioskbesitzers aus dem Detmolder Hauptbahnhof gefolgt (unter 
weiterer Zuhilfenahme der beraterischen Qualität eines sich zu diesem Zeitpunkt 
ebenfalls im Kiosk befindlichen Mannes mit Rucksack und weißem Bart, der 
tatsächlich nicht so wirkte, als ob er den Kiosk irgendwann bald wieder verlassen 
würde, aber Detmold ist auch weird am Bahnhof, es gibt keine so richtig einladende 
Bahnhofshalle mehr), dieser vorgeschlagene Weg war aber halt nur Straße lang, und 
auf der hörte nach dem Ende der Siedlungen auch der Gehweg auf, also ging ich die 
folgenden Serpentinen durch den Wald, wie früher mit meinen Eltern auf irgendwelchen 
Wanderungen, am Fahrbahnrand, ab und zu schlichen Rennradfahrer gehobenen Alters 
auf der letzten Rille vorbei, später sehe ich welche von ihnen bei der Fünf-Euro-Cola 
wieder, einer macht da so ganz komisch und vielleicht als Kritik daran gemeint das 
lautstärkere Weinen eines nahegelegenen Kindes nach. Beim Aufstieg der Raps im 
Tal weiter unten blühte voll und mir war zu heiß unter meiner Jacke. 
Am Vorabend war meine Auftaktlesung gewesen, genau zur Mitte der OWL-
Literaturresidenz, in Detmold, (war ein schöner Abend) ich hatte noch eine 
Nacht da gepennt, im Altstadt-Hotel, das irgendwie auch ein Geheimtipp ist, und 
warum erwähn ich das dann hier? Coole Hotelinhaberin, wenn dass die Frau an 
der Rezeption war, was ich irgendwie vermute. Nachts schaute ich noch 
Columbo auf dem Hotelfernseher, wollte aber den Mord zu Beginn nicht 
sehen. Noch später in der Nacht entdeckte ich, dass es gleich mehrere Bibelsender 
hintereinander gab, in einem von ihnen eine Talk-Sendung, ein in der Freikirchen-
Szene bekannter Pastor ist darin zu Gast, er war eine Zeit lang auch mal Mitglied 
der Kölner Gemeinde, in der ich wiederum aufgewachsen bin, ich erkannte ihn 
in der Sendung erst fast gar nicht wieder, weil er früher lange Haare gehabt hatte, 
von der Hamburger Reeperbahn gekommen war, immer eine Collegejacke mit 
aufgestickter Dornenkrone trug. In der Talkshow hatte er jetzt ein Hemd und 
ganz ordentliche Schuhe und einen Kurzhaarschnitt. 
Beim Abstieg vom Hemannsdenkmal traf ich auf eine aus einem 
Baumstamm gehauene Wildschweinfamilie, die Skulptur stand ohne weitere 
Hinweise am Rand einer Fläche, auf der gefallene Bäume lagen. Wieder im 
Tal lief ich einen romantischen Bachweg stadteinwärts, auf dessen Windungen sich 
ein Pensionär von mir für eine Zeit lang verfolgt fühlte oder sich zumindest 
häufiger nach mir umdrehte, ich versuchte, wie immer in solchen Situationen, mich 
unmerklich zurückfallen zu lassen, was irgendwann auch gelang. Die schnelle 
Alternative wäre gewesen, etwas Interessantes am Wegesrand zu sehen und sich 
in der Betrachtung dessen zu verlieren oder auf einmal eine ganz wichtige SMS im 
Stehen schreiben zu müssen. In der Stadt wieder angekommen, gibt es auf einer 
Café-Terrasse ein Konzert, ich sitz an einer Gracht etwas weiter, hör der 
hinüberkommenden Musik zu, der Pensionär taucht wieder auf, läuft am anderen 
Grachtufer vorbei, er hat eine Schiebermütze und einen Trenchcoat an, irgendwie geh 
ich ohne Frage davon aus, dass die Spielenden von der Café-Terrasse Musikstudierende 
sein müssen, von der Hochschule hier. Beide Tage in der Stadt sieht man sie immer wieder 
mit ihren Koffern auf Rädern und zu Fuß, nicht unähnlich den Angehörigen von 
Glaubensgemeinschaften, die sich auch innerhalb eines sozialen Raumes nach ihren 
eigenen, parallelen Regeln und Zielen bewegen. 
Als Alexandra und ich einige Wochen später an den Externsteinen sind, spielt uns 
gleich ein oberkörperfreier Typ auf der Flöte auf, an dieser Durchgangsstelle, wo 
sich die Bäume des Waldes hin zur Wiese vor den Steinen lichten. Während wir ihn passieren, 
hält er inne, spricht: „Willkommen an den Externsteinen.“ Kurz davor, bei diesem riesigen 
Holztier, das noch im Wald steht, als Sitzbank fungiert, auf dem Weg von den Parkplätzen 
her, war ein verballerter Dude gewesen, der, wie es schien, in Alkohol gemacht hatte 
bereits, für diesen Nachmittag. Am Jesusgrab weißt mich Alexandra auf die dort 
eingeritzten Runen hin. Wir laufen nach unserem abgesagten Aufstieg noch eine ganze 
Zeit lang durch das Waldgebiet hinter den Steinen, Alexandra erzählt mir von einer 
Filmidee, die Frage ist, wie man die Drehbuch dafür angehen könnte, die Idee klingt 
cool, eine Sciene-Ficiton-Geschichte, basierend auf einem Traum, den sie mal 
hatte, es geht in ihm um alternative Logistiklösungen, ohne jetzt zu viel vorab zu 
verraten. Wir kommen an drei Pensionären auf einer Bank im Wald vorbei, die eher 
für Kaffeeklatsch als fürs Wandern gekleidet sind, sie grüßen uns, und auch, wenn ich 
mir ihre Kleidung nicht mehr exakt in Erinnerung rufen kann, weiß ich, dass ich sie stylish 
fand. Irgendwann führt uns der Weg ein wenig ins Unterholz und wir kommen auf einmal 
auf der rückseitigen Straße eines Wohngebiets heraus, Alexandra weiß allerdings gleich, wo 
wir sind und wie es zurück geht. Während wir da so wieder aus dem Wald in die Zivilisation 
hervortreten, schaut uns ein Mann aus seiner offenen Garage heraus an, schaut uns weiter 
an, solange, bis wir die Straße herunter aus seinem Blickfeld heraus sind. Zurück an den 
Steinen ist da wieder der besoffene Dude, er hat mittlerweile den Schatten des Waldes 
verlassen, sitz oberkörperfrei in der Sonne. 
Später, im Eiscafé auf der Hauptstraße von Horn-Bad Meinberg (das eigentliche 
Café, das wir besuchen wollten, hat ausgerechnet und nur an diesem Wochentag, ich 
meine, ein Mittwoch, nicht mehr nachmittags auf), erzählt eine Wanderin zwei Tische 
weiter allen, die es hören können, wie viel sie und ihre Kollegin am Tisch heute 
schon gelaufen seien und dass sie sich nun eine Erfrischung gönnen. Alexandra ist 
vegan und bekommt einen Eisbecher voller Erdbeeren, die Teenie-Bedienung freut 
sich darüber, dass sie ihr diesen Wunsch erfüllen kann, was nett von ihr ist, mich 
schaut sie ein wenig so an, als ob ich sus‘ bin, vielleicht war es auch meine 
Bestellung, Waffeln mit Eis. Eigentlich hätte ich gerne den Laguna Becher (das ist 
mit Blue Curacao und Sekt) bestellt, aber ich hab noch Angst um meine Verdauung, im 
April hatte ich einen alten Freund aus meinem ersten Studium in Wuppertal 
für einen Nachmittag getroffen, und da musste ich, nachdem ich in kurzer 
Folge Krokantbecher und Currywurst gegessen hatte, auf einmal so plötzlich und 
so heftig aufs Örtliche, dass ich es nur mit Mühe und in allergrößter Not auf eine 
Damen-Serways-Toilette im Hauptbahnhof schaffte, die ganze Halle war ich bereits in 
diesem komischen Gang gewatschelt, den man macht, wenn eigentlich schon alle 
Hoffnung verloren ist. Anyway, solche Situationen wollte ich zukünftig wenn 
möglich vermeiden, deswegen musste was Festes mit in die Bestellung. Mutig waren 
Alexandra und ich sowieso schon gewesen, wir probierten auf dem Rückweg im 
Wald beide ein paar Bärlauchblüten am Wegesrand, sind gut genießbar, schmecken 
wie Lauch und kurz am Anfang sogar ein wenig süß. Ansonsten hol ich mir auch noch 
ein Glas für einen Euro im größten Second Hand Laden auf der Hauptstraße, und 
die Verkäuferin weißt mich an der Kasse zurecht, warum ich nur ein Teil ausgewählt 
hätte. Das Glas hat nachträglich mit Window Color aufgemalte Marienkäfer drauf, dazu 
gehärtete Flüssigkeitsreste am Boden. Alexandra zeigt mir ihr liebstes Objekt, ein 
gesticktes Bild mit mittelalterlichem Motiv, bei dem sich vor höfischem Publikum zwei 
Ritter mit der Lanze duellieren und eher interessante Gesichtsausdrücke machen, während 
einer aus dem Sattel geholt wird, von der Lanze des Anderen. Der Laden ist in einem 
ehemaligen Plus gelegen (nicht unähnlich dieser Kulturstätte in Velbert Langenberg, bei 
der überregionalen Lesung von stadt.land.text, wo wir im Alldie-Kunsthaus waren, die 
halt in einem ehemaligen Aldi sitzen) und generell ist wohl gerade der Trend, das 
Privatleute einfach selber Second Hand in irgendwelchen Ladenlokalen machen, wenn 
sie es schon nicht vermietet bekommen. 
Auch an Laden und Schaufenster erinnert mich die Art, wie auf der Wewelsburg 
in einem der Räume das SS-Besteck ausgestellt ist. Es liegt einfach in einem 
Plastik-Geschirrkasten. Die Idee ist, die Dinge zu zeigen, aber nicht so sehr 
aufzuladen, sagt die Direktorin dort Wenke und mir, durch die ganze Ausstellung 
der NS-Vergangenheit des Ortes werde die Präsentation der Exponate so 
angegangen: ohne Überhöhungen. So ist das Geschirr dann in einem Kasten, nicht einzeln 
und heilig herausgestellt, wie sonst vielleicht üblicher für Objekte in einem Museum. Im 
selben Schaukasten gibt es auch einen Kerzenständer, aber man kann ihn von 
vorne nicht voll einsehen, um die Nazi-Insignien an seinem Kopfende zu betrachten, 
müsste man eine ziemliche Verrenkung vorm Kasten machen, ich unterlasse das dann. Das 
Geschirr erinnert mich an die Auslage von diesem Geschirrladen nahe dem Dom in 
Köln, dort gibt es ein Fenster, wo so ein auf mich irre teuer wirkendes Set einfach in 
eine Plastikschale liegt, mit handgeschriebenem Preiszettel über einige hundert Euro 
dran. Ist ein cooler Laden, btw. 
Das bekannteste Beispiel auf der Wewelsburg für diesen entmystifiziernden 
Umgang mit den Nazi-Zeit ist dieses – und ich erzähle vielleicht erstmal, was 
ich vorab davon gehört habe: Vorab wurde mir erzählt, dass es auf der Burg ein 
in ihren Boden eingelassenes Hakenkreuz geben würde, dass man dieses nie 
herausgenommen hätte, weswegen das Museum es nun versuche zu kaschieren, 
indem es Sitzsäcke darüber auslege. Tatsächlich sitzen Wenke, die Direktorin und 
ich, zwischen den Bean Beags auf Sitzhockern zusammen herum im besagten 
Raum und auf dem besagten Motiv, das allerdings kein Hakenkreuz sondern ein 
zwölfspeichiges Rad, ein Sonnenrad, ist. In den 90ern hat dieses Rad den Namen 
schwarze Sonne bekommen, ist ein gehyptes Symbol der Neonazi-Szene 
geworden. Während die SS die Wewelsburg nutze, hatte es diesen Namen noch 
nicht, war kein offizielles Parteisymbol, ein Sonnenrad, das sich in die 
Architektur des kreisrunden Raumes im Nordturm der Burg einfügte. Dieser 
Raum, Obergruppenführersaal genannt, befindet sich direkt über der ebenfalls 
kreisrunden, geplanten aber nie genutzten Gruft für SS Führer. Jetzt, wo wir hier 
zu dritt sitzen, leuchtet mir das mit den Bean Bags ein, auch der ganze Ansatz der 
Entmystifizierung. Als wir bei den diversen Nazi-Exponaten sind und die Direktorin 
uns nochmal dort den Ansatz erklärt, muss Wenke allerdings kurz lachen und sagt, dass 
sie das verstehen könne, aber die Sache sei, dass die Sachen eine Ästhetik, eine 
Ausstrahlung hätten, anziehend wären. Ich schenke Wenke später meinen 
Ausstellungskatalog, den mir die Direktorin wiederrum geschenkt hatte (vielen Dank). 
Es gibt diese Aussage, die ich vor Jahren mal aufgeschnappt und mir immer 
gemerkt habe, ein Freund und Walter Benjamin-Fan, Raphael, sagte mir später, dass 
sie von Benjamin sei: Faschismus ist die Ästhetisierung der Politik. Dazu 
ergänzend mein ehemaliger Wohnungsnachbar Manuel in Köln, als ich mal wieder 
bei ihm drüben war eines Abends (als wir noch miteinandersprachen, bevor er grußlos 
auszog): Manuel befand, dass Demokratie nicht ästhetisch sein könne und dürfe, sie 
müsse sich immer unbefriedigend anfühlen für den Einzelnen, matschig, kompromiss-
beladen, gerade, dass sie nie ganz funktioniere, sei, was ihre Freiheit kennzeichne. Manuel 
schlief in der Wohnung in einem Schlafsack auf den Kacheln im Bad und einmal im 
Jahr, mindestens, ging er für ein paar Wochen wandern im Wald, pennte auch 
dort. Er hat Malerei an der UdK studiert. Mir haben seine Bleistift-Skizzenbücher 
immer am Meisten gefallen. 
Den Abschluss der Ausstellung im Nordturm der Burg bilden einige Räume, die 
den Inhaftieren des nahegelegenen Konzentrationslagers in Niederhagen gewidmet 
sind. Hier ist ein komischer Fakt: Die Barracken wurden, nachdem die Alliierten dort 
angekommen waren, weiter genutzt, sie brachten in ihnen nun Geflüchtete unter, diese 
Geflüchteten blieben dann da, nicht ganz zwangsfrei, wohnen, konnten später auf 
dem Areal eigene Häuser bauen, wobei, es war ihnen auch nur dort und nirgendwo 
anders anscheinend erlaubt gewesen. Wenke und ich schaffen es nicht mehr den Berg 
runter und zurück nach Niederhagen, wo heute nicht mehr ganz so viel vom ehemaligen 
KZ übrig ist, ein Wohngebiet steht da. Auf unserer etwas mäandernden Fahrt nach Büren 
kommen wir allerdings noch eher zufällig an der größten Abschiebehaft Europas, laut 
Wikipedia, vorbei, die ist da auf einem Hügel im Wald. Direkt auf der Straßenseite 
gegenüber wurde eine Unterkunft für Geflüchtete eingerichtet. Als wir die Landstraße 
weiterfahren, kommen uns Leute aus der Unterkunft mit Einkäufen entgehen, es gibt 
keinen Weg neben der Straße, sie laufen auf ihr, die Locals und wir umfahren sie mit 
zu schnellen Autos. 
In einem der den Inhaftieren gewidmeten Räume hingen eine Winter- und eine 
Sommeruniform, die im KZ Niederhagen getragen wurde. Ein Angehöriger eines 
Überlebenden hatte die Kleidung Jahre später auf dessen Dachboden gefunden und 
dem Museum gespendet. Sie ist gestreift, sieht fast wie eine Requisite aus. Wenke erzählt 
der Direktorin und mir eine Geschichte, die sie mir glaub ich schonmal erzählt hat, in 
der, aus einem anderen KZ, den Inhaftierten ein verlorener Knopf an der eigenen 
Häftlingskleidung als Beschädigung von Staatseigentum ausgelegt wurde, sie dafür mit 
dem Tod bestraft wurden. In der Sonderausstellung zwei Räume weiter, über das Schicksal 
des Kindes Inge Ransenberg und ihrer Geschwister und Eltern, erzählt uns die Direktorin, 
dass einer der Brüder ermordet wurde im KZ (in Niederhagen?), weil er einen Schneeball 
nach einem der Mädchen aus dem Dorf geworfen hatte. Ansonsten ist im Raum mit der 
Kleidung noch eine Tube Klebstoff (ich meine, die Marke war „Moment“, die russische 
Variante von Pattex) ausgestellt, der Kleber wurde in der Zwangsarbeit zum Ankleben 
von Kragen an Kleidungsstücke verwendet, die Inhaftieren nutzen ihn wiederrum, um 
den Hunger zu betäuben. Mir fällt irgendwann auf, dass es ein Ungleichgewicht zwischen 
der Anzahl an hinterlassenen Objekten der Inhaftieren und der der hinterlassenen und 
ausgestellten Objekte der Täter gibt und dass das a.) in den Begebenheiten des ausgeübten 
Unrechts an sich liegt und b.) gleichwohl ein komisches Gefühl erzeugt, als ob es dieses 
Unrecht auch heute noch einfacher habe, sich vordränge, sich unmerklich und immer 
wieder neu einschreibe, in unsere Zeit, die halt nicht nur unsere ist oder sein sollte, sondern 
auch die aller Leute vor uns, irgendwie vielleicht auch gerade derer, die man zwang, aus 
ihr zu gehen. Was es gibt, sind Geschichten von Überlenden, in einem der letzten 
Räume, und Fotos, Fotos einiger der Überlebenden, im höheren Alter abgelichtet, einer 
wurde fast 100 oder so. Zeit, die Geschichten in diesem Raum anzuhören, haben 
Wenke und ich an diesem Tag aber auch nicht, ich muss nach der Führung 
durch die Direktorin gleich weiter zum nächsten Termin an der Wewelsburg. 
Vorher und nachher draußen sind überall Schulklassen und Gruppen generell 
unterwegs, es gibt auch eine Jugendherberge auf der Burg, die Direktorin war ganz 
froh, dass wieder was los ist. Und es gibt auf der Wewelsburg natürlich nicht nur 
die Gedenkstätte an das Nazi-Regime, sondern auch ein allgemeines Landesmuseum, 
einen Kräutergarten, etc. etc. Kurz nach unserer Ankunft kommen auf dem Hauptplatz 
Dutzende Kinder in Zweierreihen singend an Wenke und mir vorbei, später treffen wir 
wieder auf sie im Garten, wie sie Stöcke schnitzen. Ich musste übrigens so zeitig wieder 
los, weil um kurz nach drei noch der Bücherbus an der Wewelsburg hielt und ich dem 
Leiter des hiesigen Kulturbüros versprochen hatte, mir den Bus einmal anzuschauen. 
Vorab war ich nicht ganz sicher, warum eigentlich genau, die Begründung von Seiten des 
Leiters schien mir etwas zu leicht: ich würde ja schreiben, da gebe es Bücher, und so komme 
doch eins zum anderen. Außerdem hätten sie erst vor ganz Kurzem einen neuen Bus an-
geschafft, es ist da erste Mal, dass es ein neuwertiges Modell in der fast 50-jährigen 
Geschichte der Linie gebe. Als ich den Bus dann sehe und mir die beiden 
Mitarbeitern Gerry und Tanja ein bisschen was dazu zählen, wird auch mir klar, warum 
Herrn Zackmüller, dem Leiter, das Ding so wichtig ist. Es ist einfach ein schönes 
Projekt, wie es scheint mit viel Hingabe gemacht, und es ist natürlich auch ein 
Bekenntnis für die Region, die Kulturförderung dort, dass man den neuen Bus für viele 
weitere Jahre geholt hat. Die Nutzung ist kostenlos für alle Anwohner entlang seiner 
Routen, er steuert die Ortschaften im Kreis an, die keine Stadtbücherei selber 
haben. Mich fasziniert der Bus an sich, dass er fast wie ein amerikanisches 
Modell aussieht, es aber tatsächlich ein in Finnland speziell im Auftrag angefertigtes 
Fahrzeug ist. Drinnen ist für Tanja und Gerry auf jeden Fall kein so super 
klassischer Arbeitsalltag, und ich bewunder irgendwie auch die fahrenden Leute 
des Teams, die jeden Arbeitstag vielfach wechseln zwischen dem Manövrieren 
des Busses auf engen Landstraßen und der Arbeit als Bibliothekar. Der Bus ist, wie 
Gerry erzählt, nicht selten auch immer eine soziale Anlaufstation. Zusätzlich besuchen 
sie alle ersten Klassen in den Orten auf ihrer Route im jeweils zweiten Halbjahr, für 
spezielle Programme zur Leseförderung. Als Gerry und Tanja sich wieder aufmachen, 
lässt Gerry nochmal die Hupe für mich ertönen, die den Bus in jeder Ortschaft 
ankündigt. Ein bisschen connectete ich vielleicht auch mit den beiden, weil Sie 
auch erzählten, dass in der WDR Lokalzeit, beim gleichen Moderator, bei 
dem ich auch war, das Projekt vor allem dafür kritisiert worden war, dass es sich 
halt bei dem neuen Bus um einen Diesel handele. Gerry lacht und meint, wäre es 
ein Elektro geworden, hätten halt nur die Hälfte der Bücher reingepasst. 
Wo wir bei Bus sind, was leider nicht so gut geklappt hat, war die Hinfahrt mit 
der S61 ab dem Paderborner Hauptbahnhof, der Bus kam dann einfach nicht, und 
es fährt auch nur einer die Stunde, und so wurde aus einer solide geplanten Anfahrt 
doch noch eine ganz gute Hetze, in der ich am ZOB stehe, auf irgendeine 
Alternative wartend, mein belegtes Brötchen als Mittagessen vorab mit kleinen 
Bissen essend, wütend vor mich hingrummelnd, was das eigentlich hier wieder für 
ne Nummer sei. Aber es klappt alles noch, Wenke und ich treffen uns kurz vor 
knapp vorm Eingang zur Gedenkstätte, wie ausgemacht – achso, die ganze Zeit noch 
gar nicht erklärt, Wenke kam aus Köln an dem Tag zu Besuch. Später, nach 
Wewelsburg und Büren und den Externsteinen, fährt sie mich noch, in dem 
weißen Corsa, den sie sich seit einigen Jahren mit ihrer Tochter teilt, zurück 
nach Bielefeld, die Sonne steht da schon tiefrot am Himmel, Wenke animiert mich 
immer mal wieder dazu, sie doch zu fotografieren, und irgendwie unterhalten wir 
uns lange über ihre beiden Ägypten Urlaube. Sie rät mir, anzufangen Better 
Call Saul zu schauen, was ich ein, zwei Wochen später tatsächlich auch tue, sonst 
schaue ich auch diese vor zwei Jahren mal sehr populäre Netflix-Doku über das 
Cheerleader Team vom Navarro College aus Texas, USA. 
>> PS: Shoutout für Zauri Matikashvili, der mich, obwohl wir uns gar nicht richtig kannten, seine 
Doku-Reihe "Ahnen" (2019) online hat schauen lassen, Alexandra stellte den Kontakt her. In "Ahnen" ist 
Zauri vor Ort an der Wewelsburg, den Externsteinen und dem Hermanndenkmal und interviewt Leute, was
sehr aufschlussreich zu gucken ist. Ich habe von ihm ein bisschen die Strukturidee für dieses Gedicht 
gestohlen, in dem ich auch hier meine Besuche gerade dieser drei Orten miteinander verbinde.  <<

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