Die richtigen Worte finden

Folge 2: RWTH SprAachen

Das Foto zeigt das Modell eines Gebäudes

Simone Hütten-Behrend manövriert ihr in Plastiktüten verpacktes Modell durch die Gänge der Aachener Universität. Es ist zwar nur ein erster Entwurf, aber anecken, das möchte sie vermeiden. Ihr Modellbau soll heute zeigen, was sie für ihre Masterarbeit plant: den Umbau eines alten Zechengebäudes zu einem modernen Zentrum für Gründer. Doch heute da soll es nicht um Bauweise, Struktur oder Messwinkel gehen. Heute geht es um die richtigen Worte für Simones Masterarbeitsexposee. Und dafür besucht die Architekturstudentin das Oberseminar am Zentrum für Kreatives Schreiben (ZKS) der RWTH.

Das Foto zeigt Menschen an einem Tisch beim Diskutieren

Das Zentrum für Kreatives Schreiben…
…gibt es seit 2012. Gründungsvater Christoph Leuchter hatte schon zuvor Schreibkurse an der Universität unterrichtet; mit der Gründung des Zentrums konnten allerdings noch mehr Studierende mit Kursen zu wissenschaftlichem, kreativem und journalistischem Schreiben versorgt werden. Ab dem kommenden Wintersemester wird das ZKS mit dem Sprachenzentrum an der Universität zusammengelegt und heißt in Bälde: Schreibzentrum.

Wie erzähle ich schnell? Darf ich eigentlich ‚Ich‘ schreiben? Und wie kann man einen akademischen Text attraktiv formulieren? Die Oberseminargruppe diskutiert, Textversionen werden miteinander verglichen. Hier diskutieren Biologen, Soziologen und Architekten – alle an einem Tisch. Unter ihnen ist auch Christoph Leuchter.

Das Foto zeigt einen Mann

Der Leiter des Kreativen Schreibzentrums hat seine Promotion über mittelalterlichen Minnesang geschrieben, konzipiert die Kurse des Zentrums, ist aber auch als Schriftsteller und Musiker tätig. Ob erste Entwürfe, schöne Formulierungen oder Kommasetzung – Leuchter weiß wie Sprache funktioniert. Und im Oberseminar kommen Studierende zusammen, die ebenfalls eine Leidenschaft für Sprache haben. Leuchter erzählt, dass sich das Schreiben zwar in Fachrichtungen wie Lyrik, Journalismus oder Wissenschaft aufspalte, das Fundament jedoch oftmals das Gleiche sei. Und so kommt es auch, dass nach dem wissenschaftlichen Text von Simone auch noch Kürzestgeschichten, journalistische Texte und sogar Lyrik auf dem Tisch liegen.

Doch kommt da jetzt ein Komma hin? Und ist der Satz im dritten Absatz grammatikalisch korrekt? Die richtigen Worte zu finden, ist nicht immer leicht. Und genau für solche Fälle gibt es an der RWTH auch noch eine weitere besondere Einrichtung: das Sprachtelefon. Frank Schilden ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sprach- und Kommunikationswissenschaft und hat neben seiner Promotion und der Lehre auch die Aufgabe das Aachener Sprachtelefon zu leiten. Von 10 bis 12 Uhr ist er wochentags für alle Fragen rund um Sprache da und das seit sechs Jahren.

Das Foto zeigt einen Mann beim telefonieren

„Man erlebt schon einiges“, erzählt Schilden. Durchschnittlich rufen ihn vier Leute am Tag an. Die Fragen seien vollkommen unterschiedlich. Ob wissenschaftliche Texte oder Traueranzeige: „Oft geht es um Zeichensetzung, aber auch um konkrete Formulierungen.“ Meist seien es sogar Personen, die beruflich viel mit Schreiben zu tun hätten. „Lehrer, Sekretärinnen – manchmal werde ich auch in Büros auf Lautsprecher gestellt, um mit allen zu diskutieren“, sagt Schilden. Das findet er besonders erheiternd: „Man weiß nie, was auf einen zukommen!“

Das grammatische Telefon wurde an der RWTH bereits in den 90ern von dem inzwischen emeritierten Professor Christian Stetter ins Leben gerufen. Doch durch Wegfall finanzieller Mittel konnte der Servicedienst zunächst nicht dauerhaft bestehen bleiben. Erst 2010 entschloss sich das Institut für Sprach- und Kommunikationswissenschaft dazu, das Angebot wieder aufleben zu lassen. „Wir haben einfach ständig Anfragen bekommen, ob es das Grammatiktelefon noch gäbe“, erzählt Schilden.

Denn das Grammatiktelefon in Aachen hat neben dem Dudensprachtelefon Alleinstellungsmerkmal. „Bei mir rufen freie Autoren, Lyriker oder Privatpersonen aus dem ganzen Bundesgebiet an“, erzählt Schilden. In ästhetischen Fragen gibt es natürlich kein richtig oder falsch. Tipps und seine Meinung gibt Schilden natürlich trotzdem gerne. Manche suchen sogar regelmäßig seinen Rat. Nur wenn Übersetzer anrufen, dann kommt Schilden an seine Grenzen: „Ich spreche eben nicht fließend Ungarisch!“ Schilden lacht, da könne er auch nur begrenzt weiterhelfen. Richtig ungemütlich wird es für ihn am Telefon nur, wenn die „Kulturpessimisten“ anrufen. „Diese wollen von mir, dass ich die Sprache rette“, sagt Schilden. Denn viele ältere Menschen verfolgen den Sprachwandel skeptisch bis garstig und sehen im Jugendslang oft einen Verfall der Sprache. Schilden sieht das anders: „Wandel gehört unweigerlich mit dazu und schlussendlich kann jeder entscheiden, welche Sprachebene er nutzt.“ Was er jedoch bedenkenswert findet, ist der Mangel an politischer Korrektheit – insbesondere im sozialen Netzwerk. Vor allem Politiker vom rechten oder populistischen Rand würden sich hier bedenklicher Formulierungen bedienen. „Oft wird gesagt, dass Politiker nicht reden, sondern handeln sollen“, sagt Schilden und schüttelt den Kopf. „Man sollte sich bewusstmachen, dass politischen Handeln zu 99,9 Prozent Sprache ist“, argumentiert Schilden.

Sprachliche Fehler hingegen, sieht Schilden entspannter. „Ein Fehler beim Schreiben, darf einem durchaus mal passieren“, sagt er. Mehren sich die Fehler jedoch, dann wird es unangenehm. „Gesellschaftlich bedingt, stufen wir diese Personen unbewusst als weniger klug ein“, weiß Schilden. Wer also beim nächsten wichtigen Text eine grammatische oder sprachliche Frage hat und auf Nummer sichergehen will, kann ihn anrufen: montags bis freitags von 10 bis 12 Uhr unter der Telefonnummer +49 241 80-96074.

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