My loneliness 2/ Kriemhild plant
5. Juli 2020
Irgendwo muss man ja anfangen. Kriemhild ist langsam mit den Lockerungen auf den Geschmack gekommen. Zu den Dingen, die generell nicht in den digitalen Raum übertragbar sind, gehören a) ein Gruppengespräch führen, b) sich anfassen und c) seine Restfamilie niedermetzeln. Wie soll das gehen. Pixel brechen nicht so leicht wie Knochen. Kriemhild hat in die Echoräume leerer Videkonferenzräume hinein gerufen, bis etwas herausgeschallt ist, eine Dringlichkeit zum Beispiel und jetzt bereitet sie sich vor. Kriemhild mailt die Zugverbindungen an die Mörder, pardon, die Verwandschaft: liebe familie, zusteig worms hbf, umsteigen in mainz, frankfurt, köln und natürlich hamm, ist ein bisschen umständlich, aber dafür gibt es auf die verbindung noch den gruppensparpreis oben drauf, rückfahrt würde ich erst mal offen lassen und um abendgarderobe wird gebeten. xxxk Das steht in der Email, aber eigentlich schreibt sie natürlich eher: liebe familie, ich habe feuer in die welt geworfen, und siehe, ich bewahre es, bis es lodert. diese welt wird ausgelöscht, die stadt wird vergehen, und der himmel oberhalb von ihr wird vergehen. und die toten leben nicht, und die lebenden werden nicht sterben. sie kommen immer, immer, immer wieder zurück und um abendgarderobe wird gebeten. xxxk Kriemhild macht sich ein paar Gedanken über festliche und angemessene Kleidung, generell empfiehlt sich in unruhiger Zeit eine Übergangsjacke mehr als ein verwegen geblümtes Partykleid. Oder doch lieber die alte Rüstung? Als sie das letzte Mal nachgeschaut hat auf Spiegelonline, befand man sich doch wieder mal im Krieg. Doch ab wann ist eine Fehde schon wieder was anderes? Und welcher Krieg war das noch mal heute, der von den Geschlechtern, der der Dreißigjährigen oder doch der Dreißigjährige, was ist eigentlich diese Partyszene, die viel zu wenig Schaufenster einwirft, ist meine Schlacht eine gegen den Atem fremder Menschen, die für ein Land, das noch nie so war wie in den Büchern oder ist das hier der Krieg der alten müden weißen Körper gegen ihre Verblendung, ist das der Krieg vom Wald oder vom Wasser, der in der Zeitung keinen Platz hat, weil uns doch die Worte lange schon abhanden kamen, oder etwa nicht, „die machen nur noch in Zahlen da draußen, alles Krieg da überall“, hat die Frau mit den Gummihandschuhen vor ihr in der Schlange im Bioladen erzählt, die den Kampf um die Meinungsfreiheit mit Rhabarberstangen führt, zu 7,99 das Kilo. liebe familie, die partyspiele nach dem essen müssen leider entfallen, hygiene und so. keine orangen werden zwischen zwangsalkoholisierten körpern hin-und herbalanciert, motto: kein limbo im limbo. xxxk Kriemhild denkt, ne, lieber ohne Motto. Kein Limbo im Limbo klingt zu sehr nach Diskurspop und dann kommt der Gunter wieder nicht, aber sie denkt noch eine Weile darüber nach, dass „dance like nobody is watching“ plötzlich nicht mehr nur der lebensbejahende Imperativ auf den Frühstücksbrettchen und Wandtattoos in den wiedereröffneten Schreibwarenläden ist, sondern Arbeitstitel ihrer Feier, der nächsten Treffen, ihrer Zukunft und gleichzeitig präzise Beschreibung all ihrer Nächte im April, Mai, Juni. Außerdem hat Kriemhild keine Orangen mehr bekommen, weder für den Tanz noch für die Cocktails und auch sonst überhaupt kein Obst. Im Stolper-Supermarkt, halb hyperventilierend unter ihrer schlecht sitzenden Maske läuft sie gegen einen Turm preisreduzierter holländischer Blaubeeren, der in sich zusammen stürzt. Sie verlässt den Ort des Geschehens so schnell sie kann. Vielleicht war die Kollision aber auch nur ihrer Eifersucht diesen reisenden Beeren gegenüber geschuldet. Verdammtes Obst. Obst, das Grenzen überschreiten darf. Obst, das die Welt und das Meer und Häfen sieht. Obst, das vermutlich von mehr Händen berührt wurde als sie in diesem Frühjahr. liebe familie, besser kein motto. come as you are. ***k Kriemhild plant das Abendessen wie einen Feldzug, gegen die, die ihr alles genommen haben. Die Fleischlieferungen aus Coesfeld, Moers und Gütersloh sollten rechtzeitig eintreffen, angerichtet an Salaten aus Hainbuchenblättern, Stieleichenmus, mit Maiglöckchen zum Sattessen. Bullenauge, Pumpernickel, Möppkenbrot. Alles da. Salz zum Würzen, Salz zum Einlegen, Salz um ungewollte Ehemänner langsam um die Ecke zu bringen, Salz um es in Wunden zu streuen, Salz um die zu erwartenden Kadaver zu konservieren. Die Maikäfer, die sie vorigen Monat von ihrem Socken, aus ihrem Schoß gepflückt hat, vielleicht kandiert als Nachtisch. Mit Löwenzahnsirup aus den letzten Apriltagen. Hauptsache irgendwas hält vorerst noch Leib und Seele zusammen, als ob die beiden nicht eigentlich voneinander getrennt gehören, wie die Spreu vom Weizen, der Verstand von der Kränkung, wie Züge am Bahnhof von Hamm.So vor etwa tausend Jahren gab es hier das erste Gartenfest. Schon nach kurzer Zeit erfreute sich die Veranstaltung so großer Beliebtheit, dass ein Vorverkauf eingeführt wurde, den es bis heute gibt. Zum Konzept gehört es unbedingt, die Besucher mit einzubeziehen. So gibt es die Möglichkeit, vorab Musikwünsche per Mail (niflungenende@freenet.de) zu senden. Außerdem gibt es eine interaktive Gruppe bei Facebook unter dem Namen „Niflungenende@Friends“. Das Motto der DJ’s lautet: „Wir feiern eine Party- feiert mit uns!“, auf der Tanzfläche im Saal versuchen die DJ’s die verschiedenen Musikgeschmäcker zu treffen: Zudem ist es im Umkreis einzigartig, dass eine Frau am Mischpult steht und ihr eigenes musikalisches Flair einbringt. Um sicherzustellen, dass man als Gast Zutritt findet, empfiehlt es sich, den Vorverkauf zu nutzen, denn auch heutzutage ist die Party oft ausverkauft. Hierzu stehen die Verkaufsstellen des HellwegTicket Systems (hellwegticket.de) zur Verfügung.

