Ein Finger reicht

Folge 1: Frank Sodermanns macht mobil

Das Foto zeigt einen lächelnden Mann der eine Autotüre festhältWenn Sie jemandem im Rollstuhl auf der Straße begegnen, was denken Sie dann? ‚Mensch, der Arme kann nicht mehr gehen!‘ oder ‚Sie wird nie in den Genuss kommen selbst Auto zu fahren!‘ Tja, dann haben Sie falsch gedacht: Das Autohaus Sodermanns in Wassenberg hat sich auf eben diesem Gebiet spezialisiert. Es ist eines von 28 Umrüster-Unternehmen in Deutschland und baut Autos für neue Bedürfnisse um.

 

Schwenkdrehsitze, ausfahrbare Rollstuhlverladehilfen und sogar ein Quad, das per Fernbedienung und einem Mini-Kran auf einen Pick-Up gehoben werden kann. Frank Sodermanns nennt dieses Gefährt gerne den „Mut-Macher“. Er leitet das Autohaus, ist selbst gelernter KFZ-Mechaniker und feiert mit seinem Unternehmen dieses Jahr 20-jähriges Bestehen. „Autofahren soll nicht an einer Behinderung scheitern“, findet er.

Angefangen hat alles mit einem ganz gewöhnlichen Autohaus. Doch 2007 erlitt Sodermanns einen Autounfall und wurde an einen Rollstuhl gefesselt. „Es waren zwar nur wenige Wochen, aber für mich war es schrecklich.“ Nicht mehr mobil zu sein, ständig auf andere angewiesen. Beim Ausflug passte der Rollstuhl nicht mal ins Auto. Sodermanns war erbost. „Ich hab‘ mir gedacht, das geht so nicht.“ Er wollte etwas tun. Und so entstand sie: die Idee, Autos für Menschen mit Behinderung zu bauen. Zusammen mit seiner Frau, die inzwischen über 30 Jahren bei der Lebenshilfe mit behinderten Menschen arbeitet, hat er das Unternehmen peu á peu umstrukturiert. Durch medizinische Fortbildungen, die Entwicklung von Stützschalen und eine genaue Marktbeobachtung von alternativen Steuerungsmöglichkeiten, hat sich Sodermanns zu einer Koryphäe auf dem Gebiet Autoumrüstung entwickelt. Inzwischen hat er die unterschiedlichsten Mobile gebaut. Mal eine Fußlenkung per Joystick. Mal eine Hebelsteuerung mit zusätzlicher Spracherkennung. „Für uns ist das inzwischen so normal geworden wie ein Ölwechsel.“ Wenn er ein Modell anfertigt, dann können seine Kunden auch das Fahren bei ihm lernen. Dafür hat er extra eine Fahrschule.
Das Foto zeigt das Innere eines Autos in dem zusätzliche Bildschirme und andere Geräte eingebaut wurden
Ob eine Liegeschale für ein schwerbehindertes Kind oder ein herausfahrbarer Beifahrersitz, „damit Oma auch mal wieder mitfahren kann“ – Sodermanns Aufträge sind sehr unterschiedlich. Und nicht alle sind einfach. „Manchmal braucht man ganz schönes Fingerspitzengefühl“, sagt er. Einmal habe ihn eine Familie mit ihrem in die Jahre gekommenen Vater angerufen. „Wenn wir mit unserem Vater kommen, dürfen Sie das Wort mit ‚B‘ nicht sagen!“, hatte die Tochter damals zu ihm gesagt. ‚B‘ wie Behinderung. Der Mann verweigerte alles, was ihm eine ‚B‘ unterstellte. „Das geht vielen älteren Menschen so.“ Doch nicht immer führt das steigende Alter Menschen zu den Sodermanns. „Wir erleben hier viele Schicksalsschläge mit.“ Erst diese Woche habe ein junger Mann angerufen. Motorradunfall. Ab dem Brustkorb querschnittsgelähmt. Was man denn da noch machen könne? „Machen Sie sich keine Sorgen“, entgegnete Sodermanns da. Seine Autos können inzwischen FAST alles. „Sie haben keine Beine und nur einen einzigen Finger am Armstumpf; wollen aber trotzdem Porsche fahren?“ Sodermanns lächelt breit. „Wann sollen wir anfangen?“ Eine einzige bewegliche Gliedmaße reicht aus, um ein Auto zu steuern.

Menschen wieder mobil zu machen, ihnen Freiheit zu geben: Für Frank Sodermanns ist das das Größte. Natürlich ist eine solche Umrüstung recht kostenspielig, aber allein durchs Zuhören bin auch ich sehr gerührt. Die Rückfahrt im Auto nehme ich noch einmal ganz anders wahr. Ganz ehrlich: Ich fahre nicht furchtbar gerne Auto, aber ganz ohne, wäre es viel komplizierter Regionsschreiberin zu sein. Autofahren bedeutet frei sein – meine Gedanken wandern zu der Geschichte vom Opi – ohne ‚B‘ . Er hat nach der Führung durch das Autohaus seinen neuen Skooter akzeptiert. Sodermanns erzählte mir, dass er damit inzwischen sogar in seinen Stallungen unterwegs ist. Ein Opa, der wirklich im (Hühner-)stall Motorrad fährt – cool oder?

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Mein Herz schlug mir bis zum Hals

„Wir hatten ja nichts“, sagt Josef Rademacher immer wieder erklärend. Nach dem ersten Weltkrieg und vor allem nach dem zweiten Weltkrieg waren die Leute schlichtweg arm und litten Hunger. Und was macht man, wenn man in dieser Zeit in einem Dorf wohnte, das so nah an der holländischen Grenze liegt, dass man die Nachbarn geradezu riechen kann, wenn sie den so heiß ersehnten Kaffee aufbrühen oder die teuren Zigaretten rauchen? Man wird kreativ. Man schleicht sich über die Grenze und kauft die Dinge, die dort viel günstiger sind als im eigenen Land. Und das schmuggelte man dann nach Deutschland. Soviel, wie man tragen und vor den Zollbeamten verbergen konnte. Das passierte vermutlich in allen westlichen Grenzregionen Deutschlands.

Und genauso passierte es auch in Effeld, einem kleinen Ortsteil der Gemeinde Wassenberg im Kreis Heinsberg. Dort war ich vor einigen Wochen bei Irmgard und Kurt Stieding zu Gast. Sie hatten mich eingeladen, einen kleinen Einblick in die Schmuggel-Vergangenheit dieser Gegend zu bekommen. Und dazu hatten sie eben auch Josef Rademacher eingeladen. Er stammt aus diesem Ort, der sich eng an die Grenze zu den Niederlanden schmiegt. Kaum fünf Gehminuten über Felder, da sieht man schon den Grenzstein.Und er erzählt gern von diesen Schmugglertagen, hat so einige Histörchen auf Lager und meistens ein leicht spitzbübisches Schmunzeln auf den Lippen.

Geschmuggelt wurde eigentlich immer. Aber die unterschiedlichen Zeiten Anfang des 20. Jahrhunderts brachten auch ganz unterschiedliche Sehnsüchte zu Tage. Vor allem nach dem zweiten Weltkrieg war das Verlangen besonders groß nach Kaffee und Zigaretten. Das machte zwar die Mägen der Kinder auch nicht voller, aber es diente als Ersatzwährung. Denn die beiden Luxusgüter waren damals mehr wert als Geld, das durch die Inflation praktisch nutzlos geworden war.

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