Platt? Denkste!

Folge 5: Wenn der Öcher redet

Dezember 2015. Mana Kakuan und Markus Dederichs suchen. Nach etwas Lustigem, Schönen und am besten auch noch Nützlichem; eben nach einem passenden Weihnachtsgeschenk für Markus Eltern, die in Aachen leben. Ein Stückchen Heimat wäre doch schön, so etwas zum Aufhängen wie das Kölsche Grundgesetz. Eben nur für Aachen. „Gab’s aber nicht“, sagt Mana, „also mussten wir uns selbst etwas ausdenken.“ Und mit dieser Idee kam er: der Boom. Einer, der auch Mana und Markus überrascht hat, denn was mit einem Weihnachtsgeschenk begann, ist heute ein erfolgreiches Profil auf Facebook mit eigenem Onlineshop geworden: Öcher Wörter.

Aber nochmal von vorne: „Weihnachten haben wir jedenfalls ein eigenes Plakat mit den schönsten Öcher Wörtern entworfen“, erzählt Mana. „Eine Freundin von uns wollte das dann auch unbedingt für ihre Eltern haben“, erzählt sie und aus Jux habe Markus eine Seite für Öcher Wörter auf Facebook eingerichtet. Innerhalb weniger Tage explodierten die Follower-Zahlen: „Wir hatten super schnell Tausend Likes und waren total überrascht.“ Das war vor einem halben Jahr. Inzwischen folgen rund 21.000 Fans dem Profil.

Das Foto zeigt ein Paar neben einem Fahrrad

„Dass so viele Leute das Öcher Platt heute noch toll finden, hätte ich anfangs nicht gedacht“, gesteht Markus. Doch er habe gemerkt, dass das Platt vor allem für die, die aus Aachen weggezogen sind, ein Stück Heimat im Sozialen Netz ist. Auch Markus selbst lebt in zwischen in Köln; Mana ist hier aufgewachsen. Sie hat Medizin studiert, Markus Medienmanagement. „Kölsch ist schon lange cool!“, sagt Mana. Auch Markus findet, dass sich Kölsch und Öcher Platt in vielen Dingen ähnlich seien, aber es komme oft auf die Feinheiten an. „Ein besseres Wort für ‚Och herm‘ habe ich bisher noch nicht gefunden“, sagt Markus.

Manfred Birmans, der Präsident des Öcher Platt Vereins, sieht das mit den Ähnlichkeiten anders. „Das Öcher Platt unterscheidet sich immens von beispielsweise dem Dürener Platt“, sagt er. Zustimmendes Nicken aus der Runde: „Nein, nein, das ist was ganz Anderes!“, echot die Gruppe. Und Birmans hat auch den passenden Vergleich: „Die Rotgesichtsmakaken“, beginnt er, wird jedoch durch die prustende Schatzmeisterin Claire Müller unterbrochen, „nunja, diese Affen eben, die in Japan leben, da gibt es zwei Arten“, fährt Birmans fort. Die eine Gruppe lebe im Talkessel, die andere in heißen Quellen „und die verstehen sich nicht, die klingen ganz anders!“
Das Foto zeigt Menschen am Tisch vor einem Café
„Du bisse mir ‘ne schöne Tuppes“, kommentiert Ehrenpräsident Richard Wollgarten. Liebevoll zankend und lautstark lachend: der Vorstand des Öcher Platt Vereins hat sich heute zum Kaffeetrinken auf dem Domplatz versammelt.

Aber mal ehrlich: reines Öcher Platt, reines Eifler Platt – wo ist denn da jetzt genau der Unterschied? Das weiß Georg Cornelissen. Der Sprachwissenschaftler des Landschaftsverband Rheinland forscht seit Jahren über die Eigenheiten der rheinischen Mundart und hat sogar Karten für Begriffe entwickelt. Nehmen wir einmal die Zwiebel:
Die Grafik zeigt die Verbreitung der Dialekte am Beispiel des Wortes Zwiebel

 

noch zwei Beispiele:

Haus Apfel
Nord = hüske Nord = äperke
Süd = hüssje Süd = äpelsche

 

Um solche Unterschiede der Dialekte herauszufinden, muss Cornelissen oft auf Auswärtstermine. „Ich spreche dann mit Leuten, die den Dialekt noch beherrschen“, sagt er. Regelmäßig verschickt er an einen bestimmten Personenkreis auch Fragebögen, um dem Platt und seinen feinen Unterschieden auf die Schliche zu kommen. Doch die Sprachforschung hat nicht nur etwas mit der älteren Generation zu tun. „Es gibt auch den Regiolekt“, erklärt Cornelissen. Der Regiolekt werde vermehrt von der jungen Generation gesprochen und verbinde oft Platt mit Hochdeutsch. Ein Beispiel: „jemanden unter Wasser tauchen“.

Die Grafik zeigt die Verbreitung der Dialekte am Beispiel des Wortes (jemanden) untertauchen

Noch sind die Worte den Plattformulierungen „zoppe“ und „dukke“ sehr ähnlich. Doch auch Cornelissen weiß: „Der Regiolekt nähert sich immer mehr dem Hochdeutsch an.“ Ob er das schade findet? „Nein, ich finde das toll, dass sich Sprache verändert“, entgegnet er aus der Sicht des Wissenschaftlers. Ebenso kann er jedoch die Perspektive der Plattsprecher verstehen: „Wenn niemand mehr einen versteht, dann wird man irgendwann einsam.“

Rund 800 Mitglieder zählt der Öcher Platt Verein. Doch die Mitgliederzahlen sind rückläufig: „Immer weniger Kinder lernen Platt sprechen“, beklagt Birmans. Deshalb plant der Verein jetzt eine neue Kampagne im Kindergarten. Man lerne Platt nicht durchs Schreiben und Auswendiglernen, findet der ehemalige Lehrer. Viel wichtiger sei das Gehör: „Platt klingt für viele Kinder lustig, deshalb merken sie sich gerne diese Worte.“ Das heißt aber nicht, dass Platt nur zur Vergnügung da sei, man könne durchaus auch böse miteinander reden. Außerdem gibt es noch eine Ebene dazwischen, in der man die Wahrheit sagen könne, ohne direkt beleidigend zu werden“, fügt Birmans hinzu. Ein Beispiel: „Halve Jeck“ hört sich nicht so mies an wie „halber Irrer“. Stimmt! Platt ist es nicht, dieses Platt.

Und obwohl der Dialekt diese Nischen der Redekunst bietet, immer weniger Aachener sprechen es. Wie die Entwicklung begann, weiß Wollgarten noch genau. Begonnen habe es in den 50ern. „Davor haben wir alle hier nur Platt gesprochen“, erinnert er sich. Erst durch den Zuzug von anderen und den Wunsch vieler, sich von der Masse abzuheben, sei man immer mehr dazu übergegangen Hochdeutsch zu sprechen. Gerade deshalb versucht der Verein den Dialekt zu pflegen und weiterzugeben. Ob mit Aktionen im Kindergarten oder mit kleinen Häppchen auf Facebook; Öcher Platt Verein und Öcher Wörter haben eine gemeinsame Mission: den Erhalt einer alten Sprache und Tradition.

Mehr von Marie Ludwig