Das Foto zeigt die Buchstaben "S" "L" und "T" in Gebärdensprache

Ohne Worte

Folge 6: Ohne Worte …aber mit Gebärden

Das Foto zeigt die Buchstaben "S" "L" und "T" in Gebärdensprache

Blicke sagen mehr als tausend Worte – so heißt es in einem alten Sprichwort. In der Liebe stimmt das vielleicht, doch was würde beim Arzt oder vor Gericht passieren, wenn man nicht sprechen kann? Gisela Binczyk und ihre Schwester Simone Binczyk kennen solche Situationen. Ihre Eltern sind gehörlos. Die beiden jedoch nicht. Im Kindergarten und von den Großeltern lernten sie das Sprechen und vermittelten in vielen Situationen bereits als Kinder zwischen den Eltern und der Öffentlichkeit. Heute haben sich die beiden Schwestern die Kommunikation zwischen hörenden und gehörlosen Menschen zu ihrem Beruf gemacht: Sie sind Gebärdensprachdolmetscherinnen.

In der Gebärdensprache werden Gesten, Mimik und Körperhaltung für bestimmte Begriffe eingesetzt. Die Gebärdensprache ist in jedem Land eine andere. Insgesamt gibt es rund 140 verschiedene Landesgebärdensprachen. Zum Teil lassen sich sogar Dialekte definieren.

„Gebärdensprache ist meine Muttersprache“, sagt Gisela Binczyk. Spanisch, Englisch, Gebärdensprache – sie sieht da keinen Unterschied. „Es gibt oft Situationen, da kann man mit Gebärdensprache viel besser ausdrücken, was man fühlt“, sagt Binczyk. Sie formt mit ihren Händen Pistolen und lässt diese ruckartig in Richtung Schenkel sausen: „Das heißt so viel wie ‚Darauf habe ich echt gar keine Lust‘!“

Seit 10 Jahren haben die Binczyks ihr eigenes Unternehmen, das Manos heißt. Inzwischen arbeiten hier vierzehn Mitarbeiter im Team Manos. Da beide gebürtig aus Düren kommen, haben sie dort, in Hürth und in Köln ihren Sitz. „So können wir ein großes Gebiet abdecken“, erklärt Binczyk. Und zu tun, haben die beiden Schwestern genug. Selbst die acht Dolmetscher und Dolmetscherinnen können den Bedarf nicht decken: „Wir müssen 80 Prozent der Anfragen ablehnen“, sagt Binczyk.

Das Foto zeigt eine lächelnde Frau vor einer Wand mit einem Logo

Rund 80.000 Menschen sind in Deutschland von Geburt an gehörlos. „Nimmt man jedoch die Schwerhörigen und Spätertaubten dazu, dann ist man schon bei drei Millionen“, erklärt sie. Und mit diesen ist noch nicht einmal die ältere Generation gemeint. „Wir arbeiten nur mit Kunden zusammen, die bereits die Gebärdensprache beherrschen“, sagt sie. Für eine Stunde Dolmetscherbegleitung zahlen Betroffene um die 70 Euro.

Wo es dann genau zum Arbeiten hingeht, ist immer unterschiedlich: Mal ein Arztbesuch, mal eine Führung im Museum; in einen Geburtsvorbereitungskurs oder zu einer Hochzeit – die Binczkys dolmetschen zu fast allen Anlässen. „Es ist ein sehr abwechslungsreicher Beruf!“ Einen richtigen Alltag haben die Binczyks deshalb nicht. „Letzte Woche habe ich eine Vorlesung an der Uni Köln zum Thema ‚fluide Dynamik‘ gedolmetscht“, erzählt Binczyk und lacht. Man lerne so ständig neue Vokabeln.

Dass Gehörlose Sprechen erlernen, funktioniere zwar auch, allerdings klinge es meist sehr abgehackt: „Die meisten Gehörlosen nutzen ihre Stimme nicht, weil sie sie nicht kontrollieren können und vom Gegenüber dann als dümmlich eingestuft werden“, weiß auch Binczyk. Viele würden daher die langwierige Sprechausbildung gar nicht erst beginnen. Das sei inzwischen auch nicht mehr zwingend notwendig, denn die gesellschaftliche Akzeptanz gegenüber Gehörlosen habe in den letzten Jahren unglaublich zugenommen, findet die Dolmetscherin. Gehörlose könnten sich inzwischen ohne Scham in der Öffentlichkeit unterhalten. Mit Gestik, Mimik und Körperhaltung kommunizieren sie – drei Millionen Menschen in Deutschland.

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