Interview 14 – wenn du das Leben hier verstehen willst, musst du es einmal umdrehen

Dieses Foto, aus der Kiefernstraße, der Graffiti-Straße Düsseldorfs, erinnert mich an K. Lebendig, bunt, sprühend. K., die aus Lateinamerika kommt, aus Lima in Peru. Die aussieht wie 30, nicht wie 40, der man gerne beim zuhört, wie sie gestikulierend von ihrem Heimatland erzählt, der Fröhlichkeit, der Spontanität. Sie sagt: „Weißt du, ich habe einen Prozess erlebt. In Peru war ich keine emotionale Frau. Nur diese Fröhlichkeit. Hier…wenn du mit dieser Energie kommst, bist du wie ein Elefant im Porzellanladen. Sie lacht. Ihr Mann sagte immer: Psst, nicht so laut. Aber was solle sie machen. Und nicht spontan sein zu können, das sei schade.

In Peru müsse man spontan sein, sei auf Veränderungen, auf Krisen eingestellt. K. sagt: „Weißt du, dieser Alltag, der wechselt immer. Vielleicht kommt eine Diktatur.“ In Peru dürfe man aufgrund von Corona nicht raus. Sie habe als Kind Terrorismus erlebt. Da durfte man auch nicht aus dem Haus, es gab plötzlich keinen Strom mehr. K. sagt: „Zum Beispiel diese Coronasituation war eine Überraschung für viele Deutsche, ich verstehe das. Für mich war das normal. Eine Epidemie, ein Krieg…das ist bei uns normal. Nur dass ich nicht mehr normal mit dir sprechen kann, nicht mehr umarmen, das war das Problem.“ Allerdings sei die Armut drastisch gestiegen. „Viele Leute in Paru bekommen täglich Geld. Wenn sie nicht arbeiten, können sie nicht essen.“

Sie sagt: „Wenn du hier lebst, Sicherheit ist normal, genetisch.“ Sie lacht, in Paru sei das anders.. „Wieso brauchst du Sicherheit, wenn du nicht weißt, was morgen kommt? Wir sind wie Kinder. Dann kommt Papa Europa, Deutschland, Frankreich,… und sagt: Ich habe die Lösung. Ich habe einmal mit einer Niederländerin gesprochen, die 30 Jahre in Peru gelebt hat, und sie hat gesagt: Weißt du, das Leben ist hier umgekehrt. Wenn du es verstehen willst, musst du es einmal umdrehen.“

K. erzählt davon, wie sie in Deutschland erstmals in einer Buchhandlung war: „400, 500 Krimis, 10 Regale, da habe ich gesagt: Du musst nur einen Tag nach Lateinamerika gehen, da hast du deinen Krimi in real. Hier ist es für mich wie in einem Kindergarten. Alles ist aufgehoben, alles ist sicher. Ich weiß, dass das viele Deutsche nicht so sehen. Sie seit 2016 unsicher sind und ich sage ah jaja, aber für mich ist es nicht so. Hier ist alles so sicher, so geordnet, hat Struktur. Diese Sicherheit ist für mich Gold. Ich sehe kein Chaos. Wo ist hier Chaos?“ Sie lacht. „In Lima ist es anders. Diese Fröhlichkeit, Spontanität. Ein Witz, den sie über die deutsche Spontanität dort machen: Die Deutschen sagen: Jetzt müssen wir spontan sein. Auf einer Hochzeit: Jetzt müssen wir für drei Minuten spontan sein.“ Sie lacht. „Aber so funktioniert Spontanität nicht. Spontnität ist, es einfach zu machen. Nicht darüber nachzudenken.“

Sie erzählt mir, dass es in Lima auch viele Menschen mit Schreibmaschinen gibt. Die damit auf der Straße sitzen und gegen Bezahlung Formulare tippen, weil man die nicht wie hier einfach in 5 Minuten auf dem Amt bekäme. Hier sei sie auf einem Amt gewesen und die Frau habe sich bei ihr entschuldigt, dass das Dokument erst in 10 Minuten komme. Sie lacht. Aber was seien 10 Minuten. In Lima seien das 3 Monate.

2013 sei sie nach Deutschland gekommen, weil ihr Vater gestorben sei und die Gesundheit ihres Mannes nicht gut war. Hier hätten sie eine Mail geschrieben, um die Rente ihres Mannes zu bekommen, in Lima habe es ein Jahr gedauert, bis ihre Mutter die Pension bekam, noch ein Formular und noch eines, sieben Stempel.

Ob die Worte hier und in Peru anders besetzt seien? Ja, sagt sie, Freundschaft sei hier ein besonderes Wort. In Lima sei es anders, alle sind deine Freunde. Ein Freund von ihr war hier in Deutschland in der Disko, hat mit jemandem getrunken, gelacht. Hat gedacht: Jetzt habe ich endlich einen Freund. Und am Ende hätte der andere einfach Tschüss gesagt. Sie lacht. In Lima seien alle deine Freunde. Wenn du mit jemandem redest und ein anderer kommt dazu, sagt man sofort: Das ist mein Freund. Aber es gibt ein Sprichtwort: Wenn die Kartoffeln heiß sind, sind sie alle weg. Cuando los papas queman. Wenn die Kartoffeln brennen. In Lima sei die Familie wichtiger als die Freunde. Sie muss dir helfen.

Sie sagt: „Ich habe viele unterschiedliche Leute kennengelernt hier in Deutschland. Das ist ein Vorteil. In der Hauptstadt ist das Leben anders als hier. In Lima geht alles schnell.“ Alles was sie hier gearbeitet habe, sei freiwillig gewesen. Um nicht den Kontakt zu verlieren, zu dem, was ihr Spaß mache. Weil: „Wenn du als Ausländer in eine Kette kommst, zum Beispiel als Kellner, bleibst du in dieser Kette.“

Eigentlich ist sie Soziologin, hat in diesem Bereich gearbeitet, aber auch Erfahrung im Modedesign. Sie sagt: „In Peru konnte ich einen Begriff gut erklären. Hier…ich muss ehrlich sein, ich hatte Angst, als ich hier her gekommen bin, konnte nichts erklären, ich wollte viel sagen und hatte die Worte nicht.“ Im Spanischen gebe es ein Wort: ein Cuco. Wenn Kinder erschrecken, sagt man: Da kommt ein Cuco. Mit jemandem zu sprechen, war für sie ein Cuco. Auch ein Interview zu machen. Immer die Angst, einen Fehler zu machen.

Aber es gebe auch Vorteile dieser Abgeschiedenheit. In Deutschland habe sie sich selbst erst richtig kennengelernt. „Das war ein Vorteil. Ich musste ruhig sein, ich musste nur mit mir sprechen.“

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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