Interview 15 – Analysen der Realität

In dem Hinterhof, in dem ich L. treffe, steht noch diese alte Zapfsäule. Mittlerweile kann man hier nur noch Ruhe tanken. Von Ruhe spricht auch L. Seinen idealen Alltag beschreibt er so: „Dass man in dem Alltag sich selbst findet, indem man Ruhe hat. Ruhe und Zeit hat an sich zu kucken, sich innerlich anzuschauen, damit man sich eine Idee vom Leben macht und sich eine überraschende Zukunft bildet. Dass man jeden Tag etwas neues findet von sich und der Welt. Dadurch findet man viele neue Richtungen.“

„Ruhig, gespannt, versprechen“ – mit diesen drei Worten würde er seinen idealen Alltag beschreiben.

Seine Haupttätigkeit sei das Lesen. Und das Schreiben. Damit etwas Neues zu gestalten, sei die beste Entwicklungsform. „In einem Wort zusammengefasst ist die Suche nach Informationen, nach Analysen der Realität, das schönste Ergebnis, das man erreichen kann.“

L. ist ein Philosoph. Und er drückt sich sehr gewählt aus. Überhaupt tun das alle Menschen, mit denen ich spreche, die nicht Deutsch als Muttersprache haben. Alle haben sie gemeinsam, dass sie sich für die Zeit, die sie in Deutschland leben, sehr gut ausdrücken können, wie ich finde – und, dass sie trotzdem permanent darum besorgt sind, dass sie Fehler machen könnten. Während meine Deutsch-Muttersprachler es witzig finden, wenn ich einen Tippfehler in ihr Interview mache (und ich mittlerweile auch), fragen meine Nicht-Deutsch-Muttersprachler ständig nach, ob das das richtige Wort gewesen sei, fragen, ob ich ihre Wort- und Grammatikfehler verbessere (was ich nicht tue) und kommen, wie L., sogar mit Stift und Papier, um sich Notizen zu machen. Ich begreife, wie groß diese Angst, Fehler zu machen, sein muss. Von außen scheint sie zwar unbegründet, ich finde den Dialekt, dieses Individuelle, Fremde, was einen ausländischen Einschlag vermuten lässt, was einen zum Rätseln animieren kann, aus welchem Land derjenige stammt, welche Sprache seine Muttersprache ist, sogar sehr chamant. Ich mag diese sprachlichen Eigenarten. Ich will sie nicht „verbessern“, will ihnen möglichst wenig meinen Stempel aufdrücken. Und trotzdem muss ich feststellen, dass diese Sprache, die die größte Barriere in einem fremden Land darstellt, die – wenn korrekt gesprochen – Türen öffnet, mit sehr viel Unsicherheit und Angst behaftet ist. Und nehme mir fest vor, zukünftig noch mehr Rücksicht darauf zu nehmen. Und Menschen weiter zu ermuntern, trotzdem mit mir zu sprechen. Selbst wenn nicht jedes Wort stimmt, ist es gerade das, was die Interviews ausmacht. Dass sie unkorrigiert sind, unverändert, authentisch.

 

 

 

 

 

 

 

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