18:58 Uhr, Volkssternwarte Herne

Auf dem Hof der Volkssternwarte Herne verbleichen rund die 12, 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10 und 11.  In der Mitte des Kreises befindet sich eine Skala, ein Mann orientiert sich an ihr. Mit der Sonne im Rücken richtet er sich und seinen Schatten aus. „Es müsste jetzt kurz vor 7 sein“, sagt er nach einem kurzen Blick über die Schulter. Es ist 18:58 Uhr. Die Türen und die Luke der Beobachtungskuppel der Sternwarte stehen offen. Aus der Kuppel ragen das Ende einer Leiter und ein Kopf hervor, ein anderer geht mit einem Rechen voll mit Grünabfällen über den Hof. Ein weiterer beugt sich im Hof über ein Teleskop, sagt plötzlich: „Ah, da! Ein Sonnenfleck. Und was für einer!“ Dann wird der Himmel milchig und ein neues Beobachtungsobjekt gesucht. Der Mann mit der Uhrzeit wird auf der Spitze des Schornsteins eines stillgelegten Kohlekraftwerks unweit der Sternwarte fündig. Ein Wanderfalke sitzt auf einem Metallgerüst. Er ist mit dem Teleskop zu sehen, mit dem zuvor der Sonnenfleck entdeckt wurde. Der Falke steht auf dem Kopf, der Falke schreit. „Wir hatten auch schon einen, der ist von Astronomie auf Ornithologie gekommen. Hatte halt mehr Vögel beobachten können als Sterne und Himmelskörper“, sagt der Sonnenuhr-Mann. Um heute noch Himmelskörper sehen zu können, müsste man sich ins Planetarium setzen. Das geht dann auch. Und am Ende, am Ende hat man Sterne in den Augen. 19:45 Uhr



>Willkommen auf dem Mond: Wanne-Eickel<

Begrüßung am Bahnhof Wanne-Eickel. Wenn man nicht über Lokalgeschichtswissen verfügt, kommt man sich ein bisschen veräppelt vor. ©mhu
Begrüßung am Bahnhof Wanne-Eickel. Wenn man nicht über Lokalgeschichtswissen verfügt, kommt man sich mitunter ein bisschen veräppelt vor. ©mhu
Es gibt diesen Schlager. „Der Mond von Wanne-Eickel“ aus dem Jahr 1962 von Friedel Hensch. Die seit 1975 etwas widerwillig zu Herne gehörende, ehemalige Großstadt identifiziert sich so sehr mit diesem Tango, dass sie nicht nur Besitzerin eines 2131 Hektar großen Grundstückes auf dem Mond ist, sondern auch jede*n Besucher*in am Bahnhof und in der Innenstadt mit dem Schild „Willkommen auf dem Mond“ begrüßt. Ein Volkstheater mit dem Namen „Mondpalast“ komplementiert die Mond-Kampagne.

Volkssternwarte im Dorneburger Park

Dass in Wanne-Süd seit 1991 die Volkssternwarte Herne angesiedelt ist, passt da gut ins Bild. Die vom Verein „Astronomische Arbeitsgemeinschaft Wanne-Eickel/Herne“ ehrenamtlich betriebene Sternwarte lädt unter anderem jeden Montag ab 18:30 Uhr Interessierte zu Beobachtungsabenden ein. Beobachtet wird alles, was Himmel und Wetterlage hergeben – in den Wintermonaten ist dafür die passende Saison. Bei meinem Besuch konnte ich Sonnenflecken, die Aura der Sonne, Baumkronenblätter und den Wanderfalken betrachten. Nur der Mond, der sich an dem Tag eigentlich zur Partiellen Mondfinsternis zeigen sollte, war nicht zu sehen.

Mehr von Melanie Huber

Das Mädchen – schwarze Hand und schwarze Pädagogik

Vor einer Woche ist George A. Romero gestorben. Seine Zombies leben weiter (den Kalauer konnt ich mir nicht verkneifen). Romeros erster Film, Die Nacht der lebenden Toten von 1968 erfand das Zombie-Genre (neu). Das Bild einer Hand, die aus dem Grab stößt, ist gewissermaßen die „Signature Geste“ der lebenden Toten. Es konzentriert unsere Furcht vor den Rückkehrern in einem einzigen Körperteil. Die Hand der Toten da unten, greift nach uns, den Menschen hier oben. Im Sauerland taucht dieser Mix aus Furcht und Schauder in einer Geschichte voll schwarzer Pädagogik und Rechthaberei auf: In der Schwarzen Hand von Bödefeld.

Im einst sehr, heute immer noch katholischen Sauerland ist man vertraut mit Reliquien von Kieferknochen, Fingern, Schädeln, mit Blut gefüllten Röhrchen von Märtyrern und Heiligen, die in Kirchen aufbewahrt werden – zur Erbauung der Gläubigen. Einige sind schon damals geschickt zum Tourismusmarketing benutzt worden: Gläubige anzulocken, als Pilger, Essen, Tinnef und Unterkunft verkaufen – für manche Dörfer der einzige Wirtschaftsfaktor. Vor 250 Jahren, als die Schwarze Hand von Bödefeld „entdeckt“ wurde, unternahm man aber offenbar nicht den Versuch, daraus eine erbauliche Heiligengeschichte zu machen, auf dass die Menschen zu besseren Menschen würden. Was die Zeit überdauerte, ist eine bittere Geschichte (eigentlich zwei) von Strafe und Sühne.

In Bödefeld wird in einer kleinen Nische in einer Säule der Pfarrkirche eine abgeschnittene Mädchenhand aufbewahrt. Sie liegt dort schön ausgeleuchtet auf einem Kissen hinter Glas. Erste Überraschung: die Schwarze Hand ist eigentlich braun. Schwarz ist als Werbesprech natürlich besser, klingt nach Verderben und Dunkelheit.
Das Mädchen, zu dem die Hand gehörte, soll jedenfalls irgendwann um 1750 versucht haben, seine Mutter zu schlagen. Wie in einem Grimm Märchen starb das Mädchen bald danach. Als der Priester einige Tage später am Grab des Mädchens vorbeiging, ragte die Hand der Kleinen aus dem Grab, schwarz und unverwest. Er schob sie zurück ins Erdreich (man schreibt plötzlich blumig, wenn es um Märchen geht), aber auch am nächsten Tag ragte die Hand wieder hinaus. Da schnitt er sie ab und bewahrte sie fortan in der Kirche auf – als Mahnung für ungezogene Kinder. Brrr – Struwelpeter und Zombiegeschichte in einem.

Die andere Variante der möglichen Ereignisse ist nicht weniger morbid, dafür wenigstens nicht so schwarz-pädagogisch. Es gab offenbar auch im 18. Jahrhundert noch Indizienverfahren, mit höchst fragwürdiger Beweisführung, ähnlich dem Hexentest: Frau wird gefesselt und ins Wasser geworfen. Geht sie unter, ist sie keine Hexe. Und so wollte man damals Mörder überführen, indem man sie zu den Gemeuchelten brachte, um ein „Gottesurteil“ fällen zu lassen. Begannen die Wunden der Toten wieder zu bluten, war der Mörder gefunden. War die Leiche zum Zeitpunkt des Tests schon beerdigt, schnitt man ihr die rechte Hand ab und führte damit die Prüfung durch. Es waren wilde Zeiten.

Diese zweite Variante klingt zeitgemäß weltfremd und nach rationalen Erklärungen suchend wie bei der Vorstellung die Sterne seien Löcher im Samt des Himmels oder Erdbeben ein Zeichen, dass die Götter des Olymp kämpften. Aber wenigstens ist der Erklärungsversuch versucht rational und nicht so kalt und moralisch, wie der erste. Immerhin ging es um Gerechtigkeit.
Die weitaus populärere Geschichte ist im Sauerland aber bis heute die erste Variante der aus dem Grab stoßenden Hand eines aufmüpfigen Mädchens. Sie hat die Zeit überdauert – mit Nutzen für Tourismus auch in den Jahrhunderten danach. Aber warum gefällt der Kirche diese Geschichte? Warum wird die Hand noch imer aufbewahrt?

Aus dem Schaukasten vor der Kirche

Versetzen wir uns in die Lage eines Gläubigen, eines Christenmenschen. Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, die man nicht erklären kann. In Ordnung. Stimmt auch. Aber in der Logik des Neuen Testaments, frage ich mich: Warum bitte soll das tote Mädchen die Hand ausstrecken, hinüberlangen aus seinem Grab zu den Lebenden, wenn nicht zur Versöhnung mit der Mutter oder zur Entschuldigung? Oder aus Einsamkeit. Mal jesuschristlich gedacht, im Sinne von Nächstenliebe als höchstem Gebot und so. Und dann schneidet dieser moralinsaure Pfarrer ihr die Hand ab, um sie zur Schau zu stellen und Generationen von Kindern Angst zu machen. Schneidet sie ab, weil er in der ausgestreckten Hand nicht Versöhnung sieht, sondern eine weitere Geste des Widerstands gegen die Eltern, die Obrigkeit, die natürliche Ordnung. Seit 250 Jahren und nun einfach weiter. Für die Ewigkeit?

Manche werden sagen, auch wegen solch Geisteshaltung ist die Kirche jetzt da, wo sie nunmal ist. 1750 klingt auch nur scheinbar weit weg: Während ich dort vor der kleinen Hand stand, erinnerte ich mich an Geschichten von „Erziehungsmaßnahmen“ der Nonnen auf der katholischen Schule meiner Mutter in Attendorn der 50er Jahre dieses Jahrhunderts oder im katholischen Kindergarten meiner Frau im Neapel der 70er Jahre. Die trugen den gleichen Geist in sich.
Steckt in der beharrliche weiter erzählten Geschichte und Präsentation der Hand nicht dieser doch längst überholte, kalte Blick auf Kinder und Erziehung?

Die Hand endlich zu beerdigen, wäre dagegen eine versöhnliche Geste. Eine Geste wie sie das Mädchen sogar nach seinem eigenen Tod offenbar fertigbrachte – wenn man denn nun an die erste Geschichte glaubt. Und falls die Hand doch von einem ermordeten Kind stammt und Teil eines „Gottesgerichts“ war, was macht sie dann noch in einer Kirche? So oder so: 250 Jahre Missbrauch für entweder fragwürdige Moralvorstellungen oder marzialische Strafen sind genug, finde ich. Warum reicht man dem Kind nicht die Hand zur Versöhnung und lasst es dann in Frieden ruhen.

Bezeichnenderweise finden sich in einem Text über die „Schwarze Hand“ im Schaukasten vor der Pfarrkirche folgenden Zeilen, in Bezug zur zweiten, unpopulären Herkunftsgeschichte der Hand, der Überführung eines Mörders: „Sollte diese Deutung richtig sein, müsste man dem guten Mädchen Abbitte dafür leisten, daß man immer von ihrer Freveltat an der eigenen Mutter erzählt.“ Gutes Mädchen. Müsste. Freveltat. Das klingt nicht nach „im Zweifel für den Angeklagten“ und nach Versöhnung. Es klingt gleichgültig und kalt und weiterhin nach „hat noch keinem (Kind) geschadet“ und so weiter. Es wird aber doch sehr viel von Verzeihung und Vergebung gepredigt. Nun ließe sich das mal leicht tun.

Mir ist jedenfalls nicht wohl bei der Vorstellung, wie die Hand des zur Versöhnung bereiten oder eben eines ermordeten Kinds da Nacht für Nacht allein im Dunkeln der Kirche liegt. Auch nach 250 Jahren – um eine der duteznden Hand-Metaphern zu verwenden – hält offenbar niemand seine Hand über das Mädchen. Wenn das Kind eines Tages zurückkommt, sich seine fehlende Hand zu holen und für Gerechtigkeit zu sorgen wie in einem George A. Romero Film, es wäre nicht überraschend.

#stadtlandtext


Hand
Bruderhand, Feindeshand, Freundeshand, Geisterhand, Hinterhand, Kusshand, Mädchenhand, Meisterhand, Menschenhand, Mörderhand, Schwurhand, Segenshand, alle Hände voll zu tun haben; beide Hände voll zu tun haben, an jemandes Händen klebt Blut, aus erster Hand, die Beine in die Hand nehmen, alle Fäden in der Hand halten, die Hände in den Schoß legen, die Hand in anderer Leute Taschen haben, die Hand mit im Spiel haben, die Hand auf etwas legen, die linke Hand weiß nicht, was die rechte tut, die Hand aufhalten, die Hand für jemanden ins Feuer legen, die Hand über jemanden halten, die Zügel fest in der Hand halten, eine Hand wäscht die andere, alle Trümpfe aus der Hand geben, etwas gegen jemanden in der Hand haben, etwas geht durch jemandes Hände, etwas geht von Hand zu Hand, etwas in die Hand nehmen, etwas in jemandes Hand legen, etwas ist mit Händen zu greifen, etwas ist nicht von der Hand zu weisen, etwas ist schon durch viele Hände gegangen, etwas von langer Hand planen, etwas zerrinnt jemandem unter den Händen, freie Hand haben, gibt man dem Teufel den kleinen Finger, so nimmt er gleich die ganze Hand, Hand an jemanden legen, Hand aufs Herz!, Hand drauf!, Hand in Hand arbeiten, Hand in Hand gehen, etwas hat Hand und Fuß, hinter vorgehaltener Hand, in andere Hände übergehen, in die Hände spucken, in festen Händen sein, (bei jemandem) in guten Händen sein, in sicheren Händen sein, in jemandes Hand sein jemandem aus der Hand fressen, jemandem zur Hand gehen, jemandem die Hand fürs Leben reichen, jemandem etwas aus der Hand nehmen, jemandem etwas in die Hände spielen, jemandem etwas in die Hand versprechen, jemandem freie Hand lassen, jemandem in die Hände fallen, jemandem sind die Hände gebunden, jemandem rutscht die Hand aus, jemanden auf Händen tragen, jemanden in die Hände bekommen, jemanden um die Hand seiner Tochter bitten, jemandes rechte Hand (sein), keine Hand rühren, letzte Hand an etwas legen, mit starker Hand, mit Herz und Hand, mit leeren Händen dastehen, mit vollen Händen das Geld zum Fenster rauswerfen, seine Hände in Unschuld waschen, sein Herz in die Hand nehmen, sich die Hände reiben, sich die Hände schmutzig machen, sich die Hand reichen können, sich für jemanden/etwas die Hand abhacken lassen, sich mit Händen und Füßen wehren, von der Hand in den Mund leben, Wachs in jemandes Händen sein.

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