Drei Monate Rheinschiene: Drei Welten

Vor etwas weniger als drei Monaten war ich in Düsseldorf Fahrrad fahren. Raus aus der Stadt, rein in die Natur, und es schien die Sonne, endlich etwas wärmer, endlich etwas Frühling, die Winterjacke zuhause gelassen und die Menschen um mich herum waren fröhlich, auf den Spielplätzen vielleicht etwas zu fröhlich. Au man, dachte ich, da wälzen sich die Kinder haufenweise im Sand, robben über den Holzdino, dass es aussieht wie damals die Ameisen im Rucksackfach, als wir blöderweise ein Bonbon ohne Papier dringelassen hatten. Auch schön, denke ich, so statt Kindergarten und Schule. In meinem Kopf klingt es sarkastisch.

Die Kinder schreien „Oma, Omaa“ und ich fühle mich bestätigt. Au man, denke ich noch einmal, da wurde der Sinn der Kindergarten- und Schulschließungen ja grandios erreicht.

Du musst aufpassen, mahne ich mich selbst, wenn du zu viele sarkastische Selbstgespräche führst, ist das irgendwann nicht mehr kritisch-humorvoll, sondern einfach nur noch pessimistisch-verbittert.

Ich sage also zu mir, optimistisch-gutmütig: Immerhin, die Menschen sind alle in der Natur, ist doch super, die meisten bewegen sich mit mehr als 3 km/h vorwärts, sie machen so etwas wie Sport, ist doch klasse, die Welt krankt sich gesund, schrieb ich in mein Notizbuch.

Dann wurden die Spielplätze geschlossen, überall flatterten rote Absperrbänder, mein Blogeintrag war immer noch nicht hochgeladen. Mist, dachte ich, du hattest den richtigen Riecher, was falsch läuft, was bestimmt bald geändert wird, aber irgendwie schon wieder zu spät dran. Ich schreibe ständig, aber dieses ganze Drumherum, der letzte Schliff, und das Hochladen und alles, finde ich irgendwie anstrengend. Da hält die innere Perfektionistin dagegen, ein Text ist schließlich nie fertig.

Aber naja, die Welt krankt sich gesund, das stimmt doch noch! Zumindest Luft und Flüsse und Seen und überhaupt – aber die Menschen doch nicht, wie naiv warst du. Auf Instagram und Facebook und was es sonst noch gibt, tummeln sich Anfang der Quarantänezeit die Sport-Challenges und eine Freundin schreibt mir, wie schön es doch sei, dass ich diese Zeit mit meinem Mann zusammen erleben könnte, ihre Freunde würden ständig Paar-Pilates-Bilder schicken, und ich denke: Äh. Also von meinen Freunden macht niemand Paar-Pilates, von meinen Freunden haben sich ein paar getrennt, ich mache auch kein Paar-Pilates, selbst wenn die Krise nie enden würde, so weit würde es nicht kommen. Hoffe ich.

Im Internet (wo sonst) lese ich: Tielkühlpizzarekord. Lieferengpässe jetzt nicht nur bei Masken, sondern auch bei Tiefkühlpizzen.

Die Gesundheit während der Quarantänezeit ist so etwas wie eine abfallende Kurve. Oben links war Mitte März, alle gehen Joggen in den Park, weil schließlich hat man ja jetzt mehr Zeit und was wäre da besser und schöner als raus an die frische Luft und Bewegung mit der Familie und währenddessen telefonieren mit Oma. Und jetzt ist sie unten rechts angelangt: Sport ist Mord und in der Küche stapeln sich die Pizzakartons. Notfallkontakt ist nicht mehr Mama, sondern Luigi, der schnellste Lieferdienst im Ort und Omas Nummer ist irgendwo unter Asia Express und Pronto Pizza gerutscht.

Ich schäme mich ein bisschen, weil ich Fotos hab ausdrucken lassen, vor der Quarantänezeit, von Events mit befreundeten Pärchen, jetzt erst dazugekommen sie zu verschicken, weil jetzt hat man ja Zeit, die Freunde sind mittlerweile getrennt. Naja, denke ich, so Erinnerungen sind ja immer schön, oder. Mir wird klar, dass das mit den Tiefkühlpizzen keine Ente ist. Egal, wer das erforscht hat.

Ich sollte wieder mehr Sport machen. Ich sollte weniger oft lethargisch durch meist mehr und manchmal weniger langweilige Beiträge fremder Menschen scrollen. Ich sollte mehr schreiben. Ich sollte schreiben. Ich gehe Fahrrad fahren.

Statt Absperrbänder flattern Schals und Kopftücher im Wind. Die Stühle vor der Eisdiele sind alle besetzt. Kinder robben über den Holzdino. Wüsste ich nicht, dass es ein Dino ist, würde ich ihn vor lauter Kinder nicht erkennen.

Ich glaube, ich habe in den vergangenen drei Monate drei verschiedene Welten durchfahren.

 

 

 

Bildbeschreibung, Abitur:

– Mensch, lächelnd vor einer Mauer mit Absperrband. Lächelt vielleicht, weil sie sowieso nicht hinter das Absperrband will. Mag weder Sand in den Schuhen noch Katzenscheiße.

 

Mehr von Larissa Schleher

Meine erste Woche auf Instagram oder: Tag 5. Die Cityenten

Mittlerweile habe ich über 100 sogenannte „Abonnenten“ oder in cool: Follower.  In mir duellieren sich zwei ungute Gefühle. Das eine sagt mir: „Du musst diese Leute jetzt unterhalten. Schreib etwas Witziges.“ Das andere hat ein schlechtes Gewissen: „Bring die Leute doch nicht dazu, noch mehr Bullshit zu lesen. Sie sollen wandern, Fahrrad fahren, spazieren, Oma mal wieder anrufen, ein gutes Buch lesen, egal.“ Ich schiebe den Gedanken zur Seite, sage mir: Vielleicht lesen die das alle auf Arbeit, oder Home office, wie auch immer, auf jeden Fall, wenn sie eh nicht vom Rechner weg können.

Ich recherchiere. Mein Instagram-Ratgeber sagt: Die meisten sind abends online.

Na gut. Sind ja selbst schuld. Ich sollte also etwas posten. Aber was?

Naja, reicht ja wohl heute Abend auch noch. „Eh viel vernünftiger“, lobt mich mein innerer Schweinehund, „da sind ja sowieso viel mehr online.“

Ich bin müde. Es ist Mittwoch. Ich denke an die alte Seminarweisheit: In der Mitte der Woche ist immer ein Tief.

Abends setze ich mich vor das pinke Rechteck. Schon fast hypnotisch, denke ich, haben sie das kreiert. Wie ein Strudel, der einen immer, immer tiefer zieht. Währenddessen versuche ich meine Story zu bearbeiten. Es geht nicht. Ich fühle mich wie meine Mutter beim Versenden ihrer ersten Mails. Warum kann man den Mist nicht bearbeiten? Meine Schriftzüge auf dem hochgeladenen Foto sind überdimensional und auf dem Kopf. Ich stöhne. Wo bin ich da gerade wieder draufgekommen. Es sieht aus, als hätte sich ein Kind zum ersten Mal bei Paint ausgetobt. Ich hasse diese Storys. Egal. Ich gebe nicht auf. Ich drücke wild auf mein Display. Symbole gehen auf. Oh, Musik. Denke ich. Cool. Ich sollte mein Foto mit Musik hinterlegen. Ich klicke drauf. Wähle ein Lied aus. Dann kommt das Standbild. Mein Handy hängt. Es lässt sich nicht einmal ausschalten. Na toll.

Ich bin frustriert.

Ich gehe Fahrrad fahren.

Oh. Sind das etwa Enten.

Mein Herz beginnt schneller zu schlagen.

Ich liebe Enten.

Ja, tatsächlich. Ein Pärchen chillt zwischen dem Fressnapf-Store und einer Imbissbude an der Hauptstraße…

…und beobachtet Autos.

Richtige Cityenten eben!

Vielleicht vom Hammer Preis angelockt…

…oder doch eher vom Miniteich.

Ein Herz für Tiere.

Yeah.

Die Cityenten und ich beobachten noch ein bisschen Autos.

Dann geht die Sonne unter und ich heim.

Ich bin wieder glücklich.

Merke: Wenn alles doof ist, Handy aus und raus, z.B. zu den Düsseldorfer Cityenten.

Probierts mal aus!

 

 

Mehr von Larissa Schleher

Meine erste Woche auf Instagram oder: Tag 4. Gemeine Insekten und Lernen von den Profis

Es ist mein vierter Tag auf Instagram und ich erinnere mich an meinen Vorsatz von Tag 3, etwas professioneller zu werden. Ich besuche den stadt.land.text-Account. Will mir die Posts der Stipendiatin ansehen, die in der Woche vor mir dafür zuständig war, den stadt.land.text-Account mit eigenem Inhalt zu bespielen. Ich finde, sie ist ein richtiger social media-Profi und bin gespannt. Ich finde keinen Posts. Bin verwirrt. Ich suche weiter. Bei „Highlights“ kann ich mich durch sogenannte Storys klicken. Aha. Es sind hauptsächlich Videos. Und hauptsächlich beim Fahrradfahren. Schön den Schatten mitgefilmt. Praktisch, denke ich mir, gefällt mir, da sieht man das Gesicht nicht. Ich hasse Videos von mir, mein Gesicht in Nahaufnahme würde ich nie filmen. Das nächste Video zeigt eine Nahaufnahme ihres Gesichts, sie erzählt uns, dass sie gerade eine Fliege verschluckt hat. Oh, denke ich. So wählen Profis ihre Contents. Vielleicht solltest du dein Konzept der Professionalität und der Informationsrelevanz nochmals überdenken. Aber gefällt mir. Ich fahre ständig Rad und verschlucke ständig Fliegen. Es wird mir ein Leichtes sein, meinen von jetzt an professionellen Instagramaccount zu füllen.

Das Video läuft weiter. Ich checke, dass das mit der Fliege einen pädagogischen Hintergrund hat. Sie bezieht gekonnt beiläufig die Leser, besser gesagt Zuschauer und Zuhörer, mit ein, fragt: „Vielleicht hat da jemand n Tipp, was es genau is. Weil ich finde das halt insgesamt sehr früh für Insekten im März und es ist auch echt nervig, die fliegen einem überall rein.“

Inhalte in Fallbeispiele verpacken, die betroffen machen, und selbst bei Sachfragen ehrliches Interesse suggerieren. Dann antworten die Schüler bereitwillig. Ich freue mich, weil ich etwas aus meinem Pädagogikstudium wiedererkenne. Da freut man sich immer, wenn man doch etwas mitgenommen hat, trotz des Bulimielernens und der alkoholbedingten Komplettamnesie nach den Prüfungszeiträumen. Ich freue mich auch, weil ich vom Land komme. Zum ersten Mal, seit ich auf Instagram bin, fühle ich mich wieder schlau. Jaja, ich weiß zwar nicht, wie diese blöden Storys funktionieren, die ihr da ständig macht, aber ich könnte jetzt antworten, dass man im März durchaus schon Insekten beim Rad fahren verschlucken kann. Bei diesen milden Temperaturen und flachen Weiten wie in NRW wahrscheinlich zwei Drittel vom Jahr. Und es ist ja offiziell Frühling seit ein paar Tagen. Aber wenn sie mir ihre Zunge nicht filmt (oder wo auch immer die so reinfliegen), kann ich auch nicht sagen, welches Insekt das ist.

Dann wird mir klar, dass ich ihr gar nicht antworten kann, erstens hab ich keine Ahnung, wie das in der Story geht, außerdem stellt sie die Frage ja extra, um die Leute in unser stadt.land.text-Projekt einzubeziehen und das wäre ja wie, wenn zwei Lehrer gemeinsam unterrichten und der eine stellt eine Frage und der andere beantwortet sie dann, weil die Schüler vielleicht zu langsam oder zu doof sind und er nicht will, dass sein Kollege dumm stirbt oder in meinem Fall immer und immer wieder Insekten verschluckt und dabei nicht einmal ihren Namen kennt. Man will ja schließlich wissen, was oder wen man isst.

Puh. Ich bin ratlos.

Ich sollte ihr das mit den Insekten vielleicht wirklich sagen, dass mir das dauernd passiert, dass die einzige Lösung nicht mehr Rad fahren ist. Oder: Mit Mundschutz fahren – aktuell sogar ohne dass einen die Leute blöd anglotzen. Und dann sollte ich sie gleich mal fragen, ob ich denn auf ihre Storys antworten könnte, wenn ich wollte, und ob ich denn nicht einfach ein Bild posten kann, weil das war mein Plan, oder ob ich auch so eine Story posten muss, weil mein Gesicht filmen, das könnt ihr vergessen und meine Stimme schon gar nicht. Ich kriege da immer noch diesen Kleinkindreflex: Aaaaah!!!! Nein!!!! Mach das aus!!! Das bin nicht ich!!!! Wem gehört diese schreckliche Stimme!!!!

 

Ratlos und erschöpft beschließe ich, dass das für heute mit diesem social media reichen muss. Ich gehe ins Bett.

Instagram blinkt auf. Ich kann nicht widerstehen.

Mein Account hat die 100-Abonnenten-Marke geknackt. Sofort sind da wieder diese Endorphine. Aaah. Wie es mich überlistet.

________________________________________________

Exkurs: Das gemeine Insekt

Es ist ästhetisch.

Scheint sogar irgendwie zu arbeiten.

Wow. Wie die Flügel schimmern. Mein Mund steht offen.

Wage mich näher ran.

Bin beeindruckt. Kriege den Mund gar nicht mehr zu.

Kann es sein, dass es mich gerade verhöhnt??

 

Mehr von Larissa Schleher

Fahrt ins Blaue – Mit dem Fahrrad zum Unterbacher See

Hallo Freunde der Natur!

Wer denkt, dass Düsseldorf eine graue Stadt ist und bei „Rheinschiene“ nur an wirtschaftliches Wachstum denkt, dem sei das hier gezeigt.

Ich finde die Umgebung von Düsseldorf nämlich ganz schön grün und wachsen tun hier vor allem die Bäume (und das sagt jemand der von der Ostalb kommt. Wir haben verdammt viele Bäume dort).

Auch der See ist nicht zu verachten (und das sagt jemand, der am Bodensee wohnt).

Überzeugt euch selbst! Kommt mit mir auf einen (wenn auch digitalen) Ausflug in das Naherholungsgebiet Eller Forst mit dem Ziel: Unterbacher See (yeah).

Schritt 1:

Wer einen Orientierungssinn wie ich hat (also keinen), der sehe sich das Ziel erst einmal auf Google Maps an.

 

Yeah. Endlich wieder Wald und Wasser. Das macht glücklich und man ist motiviert, das Ziel zu finden.

Man findet es trotzdem nicht, weil das alte Handy kein Google Maps hat, aber man kann ja schließlich Leute fragen. Wozu ist man Regionschreiber, wenn nicht, um sich mit den Leuten dort zu unterhalten. Und es funktioniert!

Schritt 2:

Man fährt am Obi vorbei und bestaunt diese neuen Anstehmarkierungen. Es erinnert einen an die mit Kreide gemalten Hüpfspiele aus der Kindheit. Nur, dass das hier keinen Spaß macht.

Schritt 3:

Man fährt weiter und alles sieht irgendwie so klischeehaft nach Industrie und Gewerbe und überhaupt grau aus…

Sogar der Himmel! Dabei macht man doch gerade eine Tour ins Grüne. Oder Blaue.

Aber dann, nach ein paar Minuten hat man das Gewerbegebiet hinter sich gelassen und alles ist so ruhig und so nett und so grün und da ein Bächlein und man ist in Vennhausen und die Siedlungen heißen so etwas wie „Freiheit“ und „Tannenhof“ und es klingt nicht nur grün und frei, sondern sieht auch so aus.

Schritt 4:

Irgendwann sollte man abbiegen.

Und dann:

Endlich im Wald!

Schritt 5:

Tief durchatmen, weil: Die Luft ist gut und die Bäume sind hoch.

Schritt 6:

Weiterfahren und: Da ist er endlich!

Der Unterbacher See! Sogar mit Insel. Ich bin verliebt.

Schritt 7:

Schnell das Fahrrad abstellen und Zeh ins Wasser hängen.

Schritt 8:

Zu Fuß den kleinen Trampelpfad entlang.

Da kommt etwas…

Schnell weg. Sieht zielstrebig aus…

Man findet ein süßes Häuschen…

Und sogar eine Strandbar! Mit Palme. Das sieht doch wirklich nach Urlaub aus!

Schritt 9:

Abends im Park chillen, Oma und Opa anrufen und zusehen, wie andere Sport machen.

Schritt 10:

Man friert. Schon ganz schön lange. Aber man will hier nicht weg. Es hilft nichts. Man muss irgendwann.

Auf bald, Eller Forst!

Schön wars!

Und auf der Heimfahrt sieht sogar das Gewerbegebiet plötzlich romantisch aus.

Mehr von Larissa Schleher

Meine erste Woche auf Instagram oder: Tag 3. Wald-Zitate und Bildrechtsverletzungen.

 

Ich will etwas posten, finde aber kein Foto auf meinem Handy. Mit 5 Megapixeln schießt man nicht so häufig, außer man steht auf diesen trüben Schleier des Nichtwissens.

Das einzige neue Foto, das ich auf dem Handy finde, habe ich während des Fahrradfahrens geschossen, beim Rheinschiene erkunden, nämlich im Naturschutzgebiet Eller Forst in Düsseldorf, weil ich schnell festhalten wollte, wo ich gewesen bin. Nicht für andere, nicht für Ruhm, nur für mich und meinen schrecklichen Orientierungssinn. Keine Ästhetik, keine schönen Farben, keine ruhige Hand. Spielte zu diesem Zeitpunkt ja auch noch keine Rolle, wie das Bild aussah.

 

 

Also lade ich das hässliche Handybild hoch.

Und jetzt?

Ich google „Wald-Zitate“. Bin überrascht, dass keine Flut von Peter Wohllebens O—Tönen meinen Bildschirm sprengt. Es gibt wohl noch andere Menschen, die über den Wald sprechen, zumindest gab es sie, vor Peter.

Der Wald ist das Krankenhaus unserer Seele.
(Hubert Maria Dietrich)

Ich füge einen moralischen Corona-Spruch hinzu. Erkläre den Leuten, dass man weiterhin spazieren gehen darf – entgegen der allgemeinen Internetentrüstung – aber eben alleine oder zu zweit. Was ja sowieso mehr Spaß macht. In Gruppen sieht man doch sowieso weder etwas vom Wald, noch hört die Vögel.

Ich gehe den Post nochmals durch, finde ihn selbst Panne, beschließe das alles wieder zu löschen, wenn die Leute ihn vergessen haben.

Mittlerweile weiß ich: Dafür gibt es Storys. Wenn nach 24 Stunden die Zeitspanne eintrifft, in der man alles Geschriebene total peinlich und viel zu emotional findet, muss man nicht im Dunkeln zum Briefkasten gehen und mit der Grillzange versuchen, den eigenen Brief herauszuangeln, ohne dass einen die Oma vom Fenster gegenüber beobachtet und 110 wählt, sondern die Eliminierung geschieht ganz von selbst und ZACK das peinliche Gefasel ist weg und wir wieder cool.

Nachts liege ich im Bett. Ich scrolle durch Instagram. Es ist nach Mitternacht und es kommt nicht wirklich was nach. Ich beschließe, etwas zu posten. Vielleicht nie eine gute Idee, so aus reiner Langeweile. Gilt auch für andere Sachen, die man so aus Langeweile tut. Ich finde auf meinem Handy ein Foto von mir und einer Freundin beim Brunchen. Ich mag das Foto. Ich mag sie. Es war ein cooler Tag. Wieso nicht. In meinem Kopf rattert es: Vielleicht solltest du keine Fotos von anderen Menschen posten, ohne sie um Erlaubnis zu fragen. Ich beschließe, es morgen direkt wieder zu löschen, wenn es ihr nicht gefällt. Sie gibt mir ein Herzchen. Vielleicht mag sie es. Vielleicht ist sie höflich. Vielleicht hat sie ein schlechtes Gewissen, weil sie mir so lange nicht geantwortet hat. Vielleicht ist es ihr auch einfach egal, weil ständig irgendwelche Fotos von fremden Menschen ohne deren Einwilligung gepostet werden.

Ich beschließe, das nicht mehr zu machen und professionell zu bleiben. Äh werden. Gleich morgen.

____________________________________

P.S.: Wer mich (digital) auf meiner Tour zum Unterbacher See begleiten möchte, bei der das obige Foto entstanden ist, dem sei der nächste Post „Fahrt ins Blaue – mit dem Fahrrad zum Unterbacher See“ empfohlen.

Und wer Natur digital nich ganz soo fresh findet, melde sich. Regionschreiberin freut sich immer über Begleitung – und über Interviews 😉

Mehr von Larissa Schleher

Meine erste Woche auf Instagram oder: Tag 2. Sterben für Instagram.

Ich will mich registrieren. Stelle dann fest, dass ich schon einen Account habe. Ich erinnere mich dunkel, dass ich zu Schulzeiten jemanden für eine Freundin angeschrieben habe (es war wirklich für eine Freundin, hey!). Aber umso besser. Schließlich will ich mich mit einem eigenen Account erst einmal einarbeiten, bevor ich für stadt.land.text eine Woche lang deren Instagram-Account bespiele.

Ich gehe auf die stadt.land.text-NRW-Seite. Da ist ja schon ein Beitrag von mir und meinem Projekt, mit ganz vielen Hashtags. Ich will ihn teilen, geht nicht. Ich bin jetzt schon genervt. Drücke auf hundert Symbole, aber da teilt sich nichts. Ich suche nach: Instagram mit dem PC nutzen. Google sagt mir, dass das nicht so einfach geht, weil Instagram für Handys gedacht und gemacht ist. Nervt mich noch mehr. Mein Handy ist alt, die Kamera ist trüb, verkratzt und hat 5 Megapixel. Da blinkt ein Hoffnungsschimmer auf: App installieren. Vielleicht geht es speziell für mich doch auf dem Laptop. Ich drücke drauf. Gruslige Informationen wie „Zugriff auf SMS“ erscheinen, wozu auch immer diese App meine SMS lesen muss. In meinem Hinterkopf führt mein imaginäres Theater 1984 auf, ich presse die Augen zusammen und klicke auf installieren. Nichts passiert. Mir dämmert, dass mein Laptop die App gerade auf meinem Handy installiert hat.

Ja.

Irgendwie doof, weil nicht ganz das, was ich mir erhofft hatte, aber ich bin stolz, dass mein Handy offensichtlich neu genug für diese App ist. Also doch übers Handy. Ich mache ein Screenshot von dem stadt.land.text-Post und lade ihn auf meinem Profil hoch. Auf dem Handy ist die Qualität erträglich, als ich es auf dem Laptop aufrufe, alles verschwommen. Ich bin frustriert. Es hat ewig gedauert, diese ganzen Hashtags nachzutippen. Naja, immerhin: Ich habe meinen ersten Post gemacht.

Ich abonniere und folge den ersten Leuten. Stelle fest, dass schon Fotos von mir auf Instagram sind, auch private. Denke: Oh, immerhin weiß ich es jetzt. Dafür ist es manchmal dann doch gut. Meine Freunde werden mehr. Habe meine ganzen Facebook-Homies jetzt auch hier, sie posten auf Instagram dasselbe wie auf Facebook. Ich teile meine Instagram-Posts auch auf Facebook und wir schwimmen glücklich in unserer doppelten rosa Seifenbubble, was für n Glück, doppelte Internetpräsenz und nur einmal mit Inhalt herumschlagen.

Am Abend starre ich glücklich in den Sonnenuntergang. Wie alle coolen Instagramer lasse ich mich natürlich überwältigt fallen, blicke melancholisch in die Ferne und deute Sternbilder. Schieße irgendwann, ganz in Ruhe, innerhalb von einer Sekunde ein PIC mit meinem Smartphone, poste es aber nicht direkt, das kann warten, wichtiger ist das Hier und Jetzt, das real life. Ich renne natürlich NICHT wie eine Irre in die Wohnung, schnell, schnell die Treppe hoch, schnappe meine Kamera, bete währenddessen, dass ich schneller bin als der Sonnenuntergang, bete, dass ich jetzt nicht mit meinen Wollsocken auf der Treppe ausrutsche und für meinen zweiten Instagram-Post sterbe, renne wieder raus auf den Balkon und knipse hundert Alternativen (von denen ich dann natürlich das erste nehme).

Nein, wer tut denn so was, das wäre ja krank und darüber hinaus super peinlich.

Ich schicke das Bild meiner Mutter. Sie freut sich.

Na, dann hat sich die Gefahr wenigstens gelohnt.

Mache abends meinen zweiten Instagram-Post. Sonnenuntergänge gehen immer, denke ich, füge noch einen moralischen Zeigefinger hinzu (Schönen Abend DAHEIM, ihr Lieben), dabei gehen meine Insta-Freunde vermutlich eher nicht auf Corona (aaaaah nich schon wieder dieses Wort)-Partys, aber egal. Sonnenuntergang und dann noch paar moralisch-fürsorglich-coole Hashtags wie sunset und nomorefomo und stayhome staysafe und staywasweißichnoch.

Damit kann man doch beruhigt schlafen gehen.

 

Mehr von Larissa Schleher